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„Tone at the Top“: Wie Führungskräfte Werte treiben

Manager müssen sich entscheiden, ob für oder gegen etwas. Dabei werden sie ständig beobachtet und an ihrer Wertschöp-fung gemessen, geldmäßig wie moralisch.

Manager müssen sich entscheiden, ob für oder gegen etwas. Dabei werden sie ständig beobachtet und an ihrer Wertschöp-fung gemessen, geldmäßig wie moralisch.

Von Jan Thomas Otte

Ein ganz normaler Morgen im Frankfurter Bankenviertel. Aus dem U-Bahn-Schacht kommend eilt der Banker, seine gekämmte Gel-Frisur sitz ebenso akkurat wie sein Krawattenknoten, in sein Büro – hoch oben in den Frankfurter Zwillings-Glastürmen, im 36. Stock. Sein Auftrag: für seine Kunden die bestmögliche Lösung zu finden. Daniel Hoster ist Managing Director, kurz „MD“, bei der Deutschen Bank und arbeitet in der vierzig Stockwerke zählenden Firmenzentrale in Frankfurt am Main. Als Vorstandsmitglied verantwortet er die Vermö-gensverwaltung sogenannter Schlüsselkunden – mit Portfolios im mehrstelligen Millionenbereich.

Auch für Unternehmenslenker wie Daniel Hoster ist der Umgang mit solchen Summen keine Routine. Ein solides Wertegerüst hilft ihm dabei, mit dieser Herausforderung umzugehen: „Be-sonders in außergewöhnlichen Situationen merke ich, wie Wer-te, die mich wirklich prägen, meine Entscheidungen beein-flussen“, sagt Hoster. Er versteht sich als „Möglichmacher“ und folgt dabei einem inneren Impuls, keinem flüchtigen Schlagwort. Hoster will für seine Kunden die Extrameile ge-hen – „um eine intelligente, herausragende Lösungen zu finden“.

Die Deutsche Bank ist mit einer Bilanzsumme von etwa 1.700 Milliarden Euro und 100.000 Mitarbeitern das größ-te Kreditinstitut Deutschlands und eine der wichtigsten Ban-ken weltweit. Zuletzt im Juli mit dem überraschenden Wechsel an der Führungsspitze mit John Cryan und staatsanwaltschaft-lichen Ermittlungen gegen Co-Chef Jürgen Fitschen in der öf-fentlichen Kritik, verschreibt sich die Deutsche Bank sechs Unternehmenswerten, die – wie ein Firmensprecher zugibt – nicht von heute auf morgen beherzigt werden, aber dennoch wichtig sind: Integrität, Nachhaltige Leistung, Kundenorien-tierung, Innovation, Disziplin und Partnerschaft.

Tägliche Selbstreflexion

Diese Werte werden in Prozessen immer wieder eingefordert, berichtet Hoster. „Die Einhaltung der Werte zum Beispiel bei der Produktentwicklung, in der Mitarbeiterführung oder auch in der Beurteilung von Mitarbeitern spielt bei uns eine zentrale Rolle.“ Hoster versteht sich als verantwortungsbe-wusster Mensch und will als Manager sein tägliches Verhal-ten an diesen Werten ausrichten. Gleichgesinnten rät der Banker, bestimmte Routinen zu etablieren: abends den Tag Re-vue passieren lassen, über das eigene Handeln nachdenken. „Das ist genauso wertvoll wie zum Beispiel sonntags in die Kirche zu gehen“.

Werte vorzuleben beginne bereits im privaten Umfeld, berich-tet der sechsfache Familienvater: „Wie gehe ich mit meinen Mitmenschen um, wie mit Geld oder mit persönlichen Konflikten?“ Private Erfahrungen beeinflus-sen das alltägliche Arbeitsleben – auch auf der Führungsebe-ne eines Konzerns. „Wie motiviere ich Mitarbeiter, wie diene ich meinen Kunden? Und auch: wie reagiere ich bei Rückschlä-gen?“ Manager wie Daniel Hoster werden ständig beobachtet, von Journalisten ebenso wie Kollegen und Kunden. Aus dem Vertrieb weiß er: Taten sprechen lauter als viele Worte. So entstehen viele kleine Geschichten, die sich gut weiterer-zählen, aber auch gut verkaufen lassen – „tone at the top“!

An Taten gemessen

Der in der Buchhaltung gebräuchliche Begriff beschreibt den Ton ganz oben und meint damit das von Vorstand, Aufsichtsrat und Geschäftsleitung vorgelebte Werteverständnis. Diese Com-pliance-Kultur soll illegalen Aktivitäten wie Betrug und Be-stechung vorbeugen, so Wirtschaftsprüfer. Daniel Hoster ver-steht den „tone at the top“ als seine ganz persönliche Auf-gabe. Neben dem Vorgeben von Werten will er mit seinen Mit-arbeitern auch darüber sprechen, wie sie miteinander umge-hen.

Konzernkritiker halten dagegen, dass der Fisch stets vom Kopf stinkt. Manchmal trifft dieser Vorwurf einen Chef, der sich auch bei Fehlverhalten vor seine Mitarbeiter stellt, statt den Schwarzen Peter weiterzuschieben. Fakt ist, dass Chefs maßgeblich das Betriebsklima durch ihre Worte und Ta-ten beeinflussen. „Wenn der Gesamtton stimmig ist“, so Hos-ter, bringe dieser beim Gegenüber „eine Saite zum Schwin-gen“. Die Eigenverantwortung und das Engagement seiner Teams beschreibt Hoster als überdurchschnittlich gut.

Rundumblick durch Umfragen

Mit regelmäßigen Befragungen will der Deutsche-Bank-Manager herausbekommen, wie die seinem Bereich zugeordneten, mehre-ren hundert Mitarbeiter denken. Deren Feedback bespricht er dann im Führungsteam. „Was wir hieraus lernen, wird konse-quent umgesetzt“, verspricht Hoster. Besonders intensiv küm-mert sich sein Unternehmen um den Nachwuchs, die Manager von morgen. Deren Werte, Prioritäten und Denkweisen will Hoster besser verstehen, um „für die besten Talente ein attraktiver Arbeitgeber zu sein“. Dies wiederum sei das Beste, was ein Unternehmen für Kunden tun könne, findet der Banker – vom Top-Manager bis Filialangestellten.

Mit diesem Weg kennt sich Hoster bestens aus. Seit 1988 ar-beitet er für die Deutsche Bank– eine für seine Branche als auch Hierarchiestufe ungewöhnlich lange Firmenzugehörigkeit. Bald kann Hoster sein dreißigjähriges Firmenjubiläum feiern – angefangen bei seiner Ausbildung als Bankkaufmann in einer Mönchengladbacher Filiale über einen MBA in London und mehr-jährigen Einsatz im New Yorker Firmensitz an der Wall Street. Daniel Hoster hat sich so auch regional den Freiraum erarbeitet, den er für seine Entscheidungen braucht.

„Sich Freiräume für eigene Entscheidungen erarbeiten“

Interview mit Ernst von Kimakowitz, Direktor des Humanistic Management Centers in St. Gallen/Schweiz

Wie wichtig sind Top-Managern Werte, Herr von Kimakowitz?

Dr. Ernst von Kimakowitz: Werte können für den Top-Manager persönlich eine andere Bedeutung haben als in seiner Funkti-on auf der oberen Führungsebene. Top-Manager, mit denen ich spreche, sind meist integre, werteorientierte Menschen. In ihrer Rolle als Top-Manager jedoch stehen sie unter enormem Druck. In globalen Wertschöpfungsprozessen mit immer kleine-ren Margen bei größer werdender Konkurrenz sollen die Spit-zenleute von Quartal zu Quartal immer höhere Gewinne erwirt-schaften – oft werden sie nur daran gemessen. In dieser Si-tuation können Wertefragen schnell als limitierender Faktor gesehen werden, wenn es um das Erreichen kurzfristiger Ziele geht. Im Vergleich zu börsennotierten Unternehmen haben Top-Manager in Familienunternehmen die längerfristigen Ziele verfolgen mehr Freiheiten, für sich und andere ein starkes Wertegerüst aufzubauen.

Menschen sind verschieden, Manager damit ebenso. Gibt es für Werte übergeordnete Spielregeln?

Manche Führungskräfte erarbeiten sich auf ihrer Position Freiräume für Managemententscheidungen, bei denen sie sich selbst leichter treu bleiben können. Andere finden sich eher damit ab, dass sie in ihrer Führungsrolle realen oder emp-fundenen Sachzwängen unterliegen, in denen Wertethemen nach-rangig sind. Wiederum andere folgen der Sichtweise, dass die Leitplanken für nachhaltige Entscheidungen vom Gesetzgeber aufgestellt werden. Legal wird dann mit legitim gleichge-setzt. Diejenigen aber, die klug und mutig sind, erkennen den Wert von Werten und versuchen, diese im eigenen Handeln als auch in der Organisationskultur zu stärken.

Wie leben Top-Manager Werte vor?

Indem sie es tun: einem lukrativen Geschäft den Rücken zu-kehren, wenn es stinkt; verdienten Mitarbeitern gegenüber loyal bleiben, auch wenn sie einen Fehler gemacht haben; mit Lieferanten partnerschaftlich zusammenarbeiten und diese an Erfolgen beteiligen, die sie mitermöglicht haben. Dazu kön-nen sie diese Art von Wertetreue auf karriererelevante Weise berücksichtigen, zum Beispiel in der jährlichen Beurteilung von Managern wie Mitarbeitern. Das sendet starke Signale an die gesamte Belegschaft und ebenso an die Öffentlichkeit. Diese Substanz tönt mehr als jedes Fotoshooting mit einer NGO!

Frei nach dem Motto „Tue Gutes und rede darüber“ klappt die Wertekommunikation am besten, wenn…

… Führungskräfte zuerst liefern, charakterfeste Taten vollbringen und dann erst die Kommunikation des Ganzen folgt. Über Werte zu reden, ist schön und gut, aber die tat-sächlichen Taten sollten mindestens ebenso groß sein wie die Worte, die sie beschreiben.

Top-Manager geben die Marschrichtung vor, setzen Werteimpul-se für tausende von Mitarbeitern. Doch wie ziehen sie als Mannschaft an einen Strang?

Indem Top-Manager wesentliche Werte herausfinden, die von ihrer gesamten Organisation innerlich wie äußerlich „getra-gen“ werden. Impulse allein reichen nicht! So greift bei-spielsweise eine Online-Umfrage zum aktuellen Stimmungsbild in der Firma zu kurz. Werte müssen in der gesamten Organisa-tion gelebt werden, zuallererst von den Top-Managern selbst. Sie können einen moderierten Prozess starten, der über Hie-rarchiestufen hinweg tiefer schürft, als bloß einige Impulse ins nächste Statusmeeting mitzunehmen. Am Ende dieses Pro-zesses stehen einige zentrale Begriffe, die als nicht ver-handelbare Kernwerte dienen. Die Werte des Unternehmens wer-den dadurch auf produktive Weise vereint: mit den persönli-chen Werten seiner Manager und Mitarbeiter, dem Unterneh-menszweck und seinem gesamtgesellschaftlichen Mehrwert.

Autoreninfo
Jan Thomas Otte arbeitet als Journalist und Herausgeber des Blogs „Karriere-Einsichten“ zum Thema Charakterbildung und Werteorientierung von Führungspersönlichkeiten…


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