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Europaparlament fordert transparente Lieferketten in der Textilindustrie

Mit deutlichen Worten hat das Europaparlament am Mittwoch Zustände in der globalen Textilproduktion kritisiert. Weltweit tätige Einzelhandelsketten und Markenhersteller seien „in hohem Maß dafür verantwortlich sind, dass in den Herstellerländern die Verbesserung von Arbeitsbedingungen und Löhnen erschwert wird“, heißt es im Entschließungstext. Eine wesentliche Ursache sei die mangelnde Transparenz in textilen Lieferketten. Die Abgeordneten fordern ein Meldesystem, das Informationen über alle Akteure einer Wertschöpfungskette – vom Ort der Erzeugung bis zum Einzelhandel – bereitstellt. Unternehmen und Verbände verweisen demgegenüber auf die hohe Komplexität der Textilproduktion.

Straßburg (csr-news) – Mit deutlichen Worten hat das Europaparlament am Mittwoch Zustände in der globalen Textilproduktion kritisiert. Weltweit tätige Einzelhandelsketten und Markenhersteller seien „in hohem Maß dafür verantwortlich sind, dass in den Herstellerländern die Verbesserung von Arbeitsbedingungen und Löhnen erschwert wird“, heißt es im Entschließungstext. Eine wesentliche Ursache sei die mangelnde Transparenz in textilen Lieferketten. Die Abgeordneten fordern ein Meldesystem, das Informationen über alle Akteure einer Wertschöpfungskette – vom Ort der Erzeugung bis zum Einzelhandel – bereitstellt. Unternehmen und Verbände verweisen demgegenüber auf die hohe Komplexität der Textilproduktion.

Nach Überzeugung der Europaabgeordneten sind zudem EU-Rechtsvorschriften erforderlich, um europäische Unternehmen mit einer ins Ausland verlagerten Produktion auf die Einhaltung ihrer Sorgfaltspflicht festzulegen. Solche europäischen Gesetze sollten im Einklang mit den UN-Leitprinzipien für Unternehmen und Menschenrechte und den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen stehen.

Freiwilligkeit funktioniert nicht

Die Abgeordneten beklagen zudem, dass bei den freiwilligen Einzahlungen von Unternehmen in den „Rana Plaza Donors Trust Fund“ im April 2015 noch drei Millionen der insgesamt 30 Millionen USD an Entschädigungen ausstanden. Von einem Drittel der Unternehmen mit mutmaßlichen Verbindungen in den Fabrikkomplex Rana Plaza fehlten noch Einzahlungen, darunter die Adler Modemärkte, Ascena Retail, Carrefour, Grabalok, J.C. Penney, Manifattura Corona, NKD, PWT und YesZee. Zudem hätten sich viele Unternehmen geweigert, die Höhe ihres Beitrags bekanntzugeben. Aus dem Fonds sollen die Verletzten und die Angehörigen der über 1.100 Toten aus dem Einsturz eines Fabrikkomplexes in Dhaka im April 2013 entschädigt werden.

Kritik an Bangladesch

Kritisch äußern sich die Europapolitiker aber auch zur Regierung von Bangladesch, die in Bezug auf mehrere Beschränkungen der Vereinigungsfreiheit von Arbeitnehmern nichts unternommen habe. Das Gesetz genüge immer noch nicht den wesentlichen IAO-Übereinkommen.

Zudem bedauern die Abgeordneten, dass bisher erst 173 Fabrikinspektoren eingestellt worden seien. Eigentlich sollte bis Ende 2013 bereits eine Zahl von 200 Inspektoren erreicht worden sein – nach Auffassung der Europaparlamentarier aber immer noch viel zu wenig für die Überwachung eines Industriezweigs mit vier Millionen Arbeitnehmern.

Spottbillig und fair geht nicht zusammen

„Soziale Verantwortung von Modekonzernen lässt sich durchsetzen, indem wir deutlich nach außen tragen: spottbillig und fair geht nicht zusammen“, sagt die Europaabgeordnete Martina Werner (SPD). Transparente Lieferketten seien selbstverständlich umsetzbar. Werner weiter: „Dafür benötigen wir, genau wie es das EU-Parlament gefordert hat, gesetzliche Verpflichtungen.“

Ihr Kollege Joachim Schuster (SPD) erklärte: „Natürlich können wir nicht alles kontrollieren, auch in Deutschland im Übrigen nicht.“ Alle Handelspartner sollten die ILO-Kernarbeitsnormen unterzeichnen und anwenden. Zudem könnten „angedrohte stichpunktartige Kontrollen mit konkreten finanziellen Sanktionen bei Nichteinhaltung die Unternehmen davon abschrecken, menschenunwürdig zu produzieren“, so Schuster.

Es geht nur mit der „Kraft der Vielen“

Für den Corporate Responsibility-Manager der Otto Group, Andreas Streubig, zeigt das deutsche Textilbündnis, „dass es nicht immer einen legislativen Zugang braucht, um Dinge in Bewegung zu bringen.“ Gesetzlichen Rahmenbedingungen, die gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Marktteilnehmer schaffen, steht der CR-Manager nicht ablehnend gegenüber. „An Themenfeldern mit politischer Regulierung – wie etwa die europäische Holzverordnung – wird es mehr geben und vielleicht auch mehr brauchen“, sagt Streubig. „Allerdings können Unternehmen nicht die Aufgaben einer Legislative oder einer Exekutive in Ländern übernehmen, in denen Regierungen ihrer Verantwortung nicht gerecht werden.“

Transparente Lieferketten könne die Industrie nur in einem Prozess „mit der Kraft der Vielen“ leisten. Zu bedenken gibt der Handels-Manager, dass die Beherrschung der eigenen Wertschöpfungskette für Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil bildet. Streubig weiter: „Das Teilen solcher sensiblen Informationen stellt folglich eine Herausforderung dar.“

140 Unternehmen produzieren ein Hemd

Der Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie vertritt insbesondere mittelständische Unternehmen. Dessen Pressesprecher Hartmut Spiesecke verweist auf die Komplexität textiler Lieferketten: „An der Produktion eines Herrenoberhemds sind etwa 140 Unternehmen beteiligt. Angesichts dieser Komplexität lässt sich Transparenz nur schrittweise in einem langen Prozess herstellen“, sagt Spiesecke. Von der Verantwortungsübernahme deutscher Hersteller im Ausland zeigt sich der Verbandssprecher überzeugt: „Wo deutsche Unternehmen Arbeitgeber mit eigenen Fabriken sind, haben sie in aller Regel weit überdurchschnittliche Arbeits- und Produktionsbedingungen mit überdurchschnittlichen Löhnen.“ Als Auftraggeber hätten sie dagegen auf die Arbeitsbedingungen innerhalb ihrer Lieferketten nur geringen Einfluss.

Auch für den Verbandssprecher sind Grenzen unternehmerischer Verantwortung da erreicht, wo es um hoheitliche Aufgaben geht. Spiesecke: „Die Errichtung rechtsstaatlicher Prinzipien und die Einhaltung von Recht und Gesetz sind staatliche Aufgaben. Unternehmen können keine staatlichen Aufgaben ersetzen, das wäre eine Überforderung.“

Textilbündnis der richtige Weg

Das deutsche Textilbündnis ist für die Nachhaltigkeitsmanagerin von Hess Natur-Textilien, Kristin Heckmann, eine bessere Lösung als eine gesetzliche Regelung. „Klare Zeitziele, Transparenz sowie die Überprüfung der Umsetzung sind durch das Bündnis und den Multistakeholderansatz sichergestellt“, so Heckmann. Es brauche die Beteiligung vieler Unternehmen, um Arbeits- und Umweltbedingung in den Fertigungsländern nachhaltig zu verbessern.

Merkantiles Interesse schlägt Verantwortung

Skeptischer sieht da schon Matthias Hebeler, der die Premiummarke „brainshirt“ auf den Markt bringt, die Einstellung seiner Kollegen. „Ich sehe nicht die Chance, dass das soziale Verantwortungsbewusstsein die rein merkantilen Interessen und das Gewinnstreben überlagert“, sagt Hebeler. Auch in anderen Branchen – etwa der Lebensmittelindustrie – seinen transparente Lieferketten möglich. Diese erforderten allerdings langfristige und faire Lieferantenbeziehungen.

Private Standards flexibler als Gesetze

Claudia Kersten von GOTS (Global Organic Textile Standard) sieht in private Standards ein wichtiges Instrument: „Eine politische Regulierung ist wesentlich langsamer und nicht so anpassungsfähig wie die privatwirtschaftliche Standardsetzung“, so Kersten. Der GOTS-Standard biete etwa den Vorteil, dass ein Abnehmer beim Erwerb zertifizierter Produkte sicher von der Zertifizierung aller Vorstufen ausgehen könne. „Ein Unternehmen braucht dabei nicht alle Vorlieferanten über den ganzen Globus zu kennen oder offenzulegen“, sagt Kersten. „Gerade für den Mittelstand ist das eine kosteneffiziente Lösung.“

Audits haben nichts verändert

Auf das kürzlich in der französischen Nationalversammlung verabschiedete Gesetz zur Unternehmenshaftung verweist Gisela Burckhardt von der Kampagne für saubere Kleidung (CCC). „Nur in Deutschland ist die Lobby der Wirtschaftsunternehmen so stark, dass sie gesetzliche Regelungen auf jeden Fall verhindern wollen.“ Kritisch sieht die NGO-Expertin freiwillige Aktivitäten wie etwa Audits. „Audits werden seit 20 Jahren durchgeführt und haben bisher nicht zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten beigetragen.“ Deshalb fordere die CCC mehr Transparenz, etwa durch die Veröffentlichung von EU-Importpapieren und Zollerklärungen, die Einführung eines elektronischen Labelsystems oder durch die Verbindung zwischen einer Labelnummer und einer Online-Datenbasis.

Zum Hintergrund: Lesen Sie hier dazu ein >> Interview mit dem Juristen Joachim Jütte-Overmeyer.

Lesen Sie >> hier auf CSR NEWS mehr über die unternehmerische Verantwortung in der Textilwirtschaft.


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