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Einfluss kultureller Hintergründe auf Umweltdebatten

Umweltdebatten sind von kulturellen Aspekten gefärbt. Zu diesem Schluss kommt der Skandinavist Reinhard Hennig in seiner Dissertation an der Universität Bonn. Er analysierte Beispiele aus der skandinavischen Umweltliteratur von den 1970er Jahren bis heute. Ergebnis: Was überhaupt als Umweltproblem wahrgenommen, wie darüber diskutiert wird und welche Lösungen vorgeschlagen werden, hängt stark vom nationalen Selbstverständnis ab.

Bonn (csr-news) > Umweltdebatten sind von kulturellen Aspekten gefärbt. Zu diesem Schluss kommt der Skandinavist Reinhard Hennig in seiner Dissertation an der Universität Bonn. Er analysierte Beispiele aus der skandinavischen Umweltliteratur von den 1970er Jahren bis heute. Ergebnis: Was überhaupt als Umweltproblem wahrgenommen, wie darüber diskutiert wird und welche Lösungen vorgeschlagen werden, hängt stark vom nationalen Selbstverständnis ab. Die Umweltbewegung war anfangs vor allem von ökologischen Fragen geprägt: Welche Risiken birgt die Nutzung der Kernkraft? Wie verbreitet ist das Artensterben? Was sind die Ursachen der globalen Erwärmung? „Für diese Fragen war zunächst vor allem naturwissenschaftliches Knowhow gefragt“, so Reinhard Hennig. „Doch oft beeinflussen auch literarische Texte die Diskussion von Umweltfragen.“ Damit rücken die „environmental humanities“ zunehmend in den Blickpunkt. Dieses interdisziplinäre Forschungsfeld verbindet unter anderem umweltbezogene Literaturwissenschaft („Ecocriticism“), Umweltethik und Umweltgeschichte. Hennig analysierte und verglich Literaturbelege aus Island und Norwegen, die für einzelne Jahrzehnte repräsentativ sind. Die untersuchten Texte reichen zeitlich von Halldór Laxness‘ provokantem Essay „Der Krieg gegen das Land“ (1970) bis zu Jostein Gaarders Klimawandelroman „Anna“ (2013). Hennig ging davon aus, dass aufgrund der historischen und kulturellen Nähe von Island und Norwegen Umweltthemen einen ganz ähnlichen literarischen Niederschlag gefunden haben sollten. In seinen Untersuchungen zeigte sich aber, dass das genaue Gegenteil der Fall ist: Was überhaupt als Umweltproblem wahrgenommen, wie darüber diskutiert wird und welche Lösungen vorgeschlagen werden, unterscheiden sich in Island und Norwegen erheblich. Hennig führt diese verschiedene Wahrnehmung und den Umgang mit Umweltproblemen auf Unterschiede im nationalen Selbstverständnis der beiden skandinavischen Staaten zurück. „In Island rücken Klimaerwärmung und globales Artensterben in den Hintergrund. Die Debatten konzentrieren sich auf Naturschutzfragen vor Ort – vorrangig zum Bau von Wasserkraftwerken“, fasst Hennig zusammen. Da das ursprüngliche Pflanzenkleid auf der Insel weitgehend verschwunden ist, würden die Stauseen vor allem als ein Angriff auf die typische Landschaft der Nation gesehen. Lange Zeit von fremden Mächten bestimmt, wurde Island erst 1918 formal unabhängig. „Die Angst vor einem Verlust der Souveränität ist jedoch nach wie vor groß“, sagt der Forscher. Deshalb werde der Bau von Wasserkraftwerken als Ausverkauf nationaler Interessen gesehen, weil damit Strom für die Aluminiumindustrie internationaler Großkonzerne produziert werden soll. „In der Literatur wird immer wieder ins Feld geführt, dass damit die Unabhängigkeit Islands riskiert werde. Dieser reflexartige Isolationismus verhindert aber zugleich, dass globale ökologische Probleme überhaupt diskutiert werden“, erklärt Hennig. In der norwegischen Literatur wird dagegen deutlich, dass sich das Land als humanitär-ökologische Großmacht versteht. Hennig: „Entwicklungshilfe, internationale Friedensvermittlung, Schutz von Menschenrechten und der Umwelt werden in Norwegen als positive Verkörperungen einer globalen Sonderrolle der eigenen Nation aufgefasst“. Dieses Selbstbild paust sich auch in der Umweltliteratur durch: Die globalen Herausforderungen wie Artensterben und Klimawandel spielen in den Debatten eine große Rolle. Vor diesem Hintergrund wird jedoch die Erdöl- und Erdgasförderung, eine Haupteinnahmequelle Norwegens, kritisiert: „Schließlich führt die Förderung fossiler Brennstoffe zu mehr Treibhausgasen“, so Hennig. Dies thematisiere zum Beispiel Jostein Gaarder, Autor des berühmten Philosophie-Romans „Sofies Welt“, in seinem literarischen Frontalangriff auf die Erdölwirtschaft.

Bislang sei der große Einfluss von nationaler Identität und kulturellen Hintergründen auf Umweltdebatten nicht ausreichend erkannt worden, stellt der Skandinavist der Universität Bonn fest. Die Ergebnisse der Dissertation haben daher auch ganz praktische Konsequenzen: „Sie zeigen, dass die Kommunikation wichtiger Umweltthemen erfolgreicher sein kann, wenn sie kulturell bedingte Unterschiede berücksichtigt“, sagt Hennig.

 


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