„Integrierte Berichterstattung – EU-Definition – Co-Regulierung – Lieferantenketten – Menschenrechte – Finanzmarkt – Konsumenten – Start-Ups – Politik – Governance“ sind nur einige Schlagwort für die Entwicklungen im kommenden Jahr. CSR MAGAZIN bat Experten aus Wirtschaft und Gesellschaft, zur Zukunft gesellschaftlicher Unternehmensverantwortung in die Glaskugel zu schauen:
Moritz Delbrück, Geschäftsführender Partner, concern GmbH:
Ein Schwerpunkt im kommenden Jahr wird sicherlich die weitere Professionalisierung in der Umsetzung von CR bzw. CSR sein. Dazu zählt die fachliche Aus- und Weiterbildung ebenso wie die Durchsetzung innovativer Instrumente und Techniken, z.B. bei der systematischen IT-Erfassung von Nachhaltigkeitsdaten. Wenn sich die Konjunktur auch nur ansatzweise so abschwächt, wie dies zu erwarten ist, wird CSR innerhalb der Unternehmen erheblich an Bedeutung und Budgets verlieren. Der Konsument dagegen wird im Zuge der allgemeinen Kapitalismuskritik noch kritischer gegenüber Unternehmen werden und diese zu mehr Transparenz und gelebter Verantwortung auffordern. Neue Impulse erwarte ich u.a. von innovativen Technik-Start-Ups, die über Crowd-Sourcing, Interaktivität im Kundendialog und Einbindung von Social-Aktivitäten sehr bedeutsam für einzelne Branchen werden können. Das Coffeecircle aus Berlin ist hierfür ein gutes Beispiel.
Dr. Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des DIHK:
Die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen steht zunehmend im Fokus der Öffentlichkeit. Auch die Politik auf nationaler und europäischer Ebene beschäftigt sich zuletzt intensiver mit dem Thema CSR. Aktuelles Beispiel dafür ist die CSR-Mitteilung der EU-Kommission. Dabei sind manche Erwartungen an die Unternehmen jedoch überzogen. Man kann hier und da sogar denn Eindruck gewinnen, diese sollten die Megathemen der Globalisierung lösen, bei denen die Politik bislang nicht erfolgreich war. CSR ersetzt aber nicht kluges politisches Gestalten zum Beispiel im Rahmen internationaler Abkommen. Mit der Einführung von CSR-Berichtspflichten greift die EU-Kommission zudem in kontraproduktiver Weise in die Gestaltungsfreiheit von Unternehmen ein. Dies ist eindeutig der falsche Weg. Dazu passt, dass in der jüngsten EU-Definition von CSR die Freiwilligkeit als zentraler Baustein fehlt. Das alles ändert aber nichts am umfangreichen Engagement der Unternehmen. Zwar sind diese über das Vorgehen der EU-Politik mehr als verärgert, aber ihren pragmatischen Einsatz für die Fachkräftesicherung und die Weiterentwicklung ihrer Strategien zu Klimaschutz und Energieeffizienz werden sie gleichwohl auch 2012 fortsetzen.
Sven Griemert, Seniorberater CSR, Johanssen + Kretschmer:
Die neue CSR-Strategie und CSR-Neudefinition der EU-Kommission löst Kontroversen aus: CSR ist demnach „die Verantwortung von Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft“. Die Wirtschaftsverbände nutzen die Debatte zur Wiederauflage des Scheingefechts über das Prinzip der Freiwilligkeit. Die unternehmerische Realität sieht längst anders aus: Aufgrund zunehmender Anforderungen in der Supply-Chain justiert der Mittelstand die Wertschöpfungsketten immer nachhaltiger und fordert Hilfen statt Debatten.
Viele Unternehmen und Konzerne richten sich auch 2012 mit ihrem CSR-Management-Kanon zwischen ISO 14000, OHSAS 18001 und SA 8000 defensiv ein. Vorreiter wie PUMA identifizieren, bewerten und managen dagegen ihre Umweltauswirkungen (Stichwort „ökologische Gewinn- und Verlustrechnung“) und entwickeln massentaugliche und nachhaltige Produkte. Sie rüsten sich mutig und innovativ für die gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen einer übernutzten Erde – unabhängig vom Ausgang des Klimagipfels. Die Finanzbranche findet weiterhin keinen nachhaltigen Weg und verschläft relevante CSR-Themen wie z.B. die Anpassungen an die Realwirtschaft oder die Förderung von Social Entrepreneurs. Impulse werden daher politisch-regulativ gesetzt. Nachhaltig ausgerichtete Newcomer, z.B. Triodos Bank, GLS Bank oder EthikBank, werden davon weiterhin profitieren. Der innovative Einsatz von Social Media in der CSR-Berichterstattung und im Dialog mit den Stakeholdern lässt 2012 in der Breite weiter auf sich warten. Damit werden Dialogpotenziale mit den Stakeholdern nicht umfänglich ausgeschöpft. Die Themen Menschenrechte und Biodiversität rücken 2012 auf der Themenliste der CSR-Verantwortlichen stärker in den Fokus – damit werden NGOs als Kompetenzträger wichtige Kooperationspartner der Unternehmen.
Jan Köpper, imug Beratungsgesellschaft:
Die starke Zunahme der Bedeutung von CSR ist ein Tatbestand. Folgende Impulsgeber sind dabei besonders hervorzuheben: Die neue CSR Strategie der Europäischen Kommission, die Arbeit des „International Integrated Reporting Committe (IIRC)“ sowie die Nachhaltigkeitsinitiativen der Vereinten Nationen. Die Europäische Kommission vertritt in ihrer neuen Strategie eine selbstbewusstere Definition von CSR und umrahmt neue Handlungsfelder, die eine intelligente Kombination aus freiwilligen Maßnahmen und ergänzenden Vorschriften vorsehen. Die weitere Verankerung der Berichterstattung zu Nachhaltigkeitsthemen, speziell unter dänischer EU-Ratspräsidentschaft Mitte 2012, und deren sinnhafte Integration in die Finanzberichte von Organisationen, verstärken die Notwendigkeit eines integrierten CSR-Managementansatzes. Internationale Wertschöpfungsprozesse unterliegen zunehmender Prüfung durch gesellschaftliche Akteure und Koregulierungsprozesse der Wirtschaft erfreuen sich zunehmender Bedeutung. In 2012 wird die Vorstellung vieler neuer Ergebnisse, Leitlinien, aber auch Gesetze erwartet und die Themen werden vor allem Berichterstattung, Lieferkettenmanagement und Menschenrechte sowie die Marktbewertung nicht-finanzieller Performance umfassen. Aber auch die Bedeutung von Nachhaltigkeit in Anlageentscheidungen wird zunehmend Gegenstand der Diskussion und kann eine erhebliche Hebelwirkung entfalten. Hier wird die Einbeziehung von Nachhaltigkeitsinformationen beim Erwerb von Staatsanleihen eine neue Dimension der Bonitätsbewertung eröffnen. Bei alle dem wird aber vor allem ein Ziel im Vordergrund stehen müssen: Die (Wieder-) Herstellung des Vertrauens in die Wirtschafts- und Finanzwelt.
Rudolf X. Ruter, Corporate Governance Consulting:
Transparente und verantwortungsvolle Unternehmensführung gewinnt einen immer höheren Stellenwert. 2012 wird geprägt sein von der Weiterentwicklung der „ganzheitlichen nachhaltigen Unternehmensführung“ in Form der zügigen Umsetzung des Deutschen Corporate Governance Kodex, der Weiterdiskussion „Ehrbarer Aufsicht“, den Bestrebungen der IIRC bzgl. des Integrated Reportings und der Erkenntnisse der CFOs, dass Nachhaltigkeit in der Unternehmensstrategie enthalten sein muss und somit planbar, messbar und „kontrollfähig“ ist – und der CFO dafür maßgeblich verantwortlich ist. CSR muss flächendeckend erwachsen werden. Sie muss weg vom Balztanz der Kommunikationschefs und der Öko-Schwallerei zahlreicher NGOs hin zur Normalität des unternehmerischen Alltags. Organisierte Gedanken- und Verantwortungslosigkeit (nicht nur im unternehmerischen Bereich) muss der Vergangenheit angehören. CSR muss sich überall zu CR weiterentwickeln. Sie muss als Bestandteil der unternehmerischen Strategie auch die Bereiche Corporate Governance und Corporate Citizenship umfassen. Die meisten Impulse werden weiterhin leider nicht aus Deutschland, sondern aus dem internationalen Umfeld, vorrangig aus Brüssel, kommen.
Stephan Schaller, GS1 Germany GmbH:
Ich beobachte einen zielführenden Pragmatismus im Umgang mit komplexen Nachhaltigkeitsherausforderungen. Zum einen muss es nicht immer die vollständige Lebenszyklusanalyse sein, um zu richtungssicheren Entscheidungen zu kommen. Zum zweiten gibt es ermutigende Entwicklungen weg von Insellösungen hin zu gemeinsamen (Branchen-) Ansätzen. Das Consumer Goods Forum oder das Sustainability Consortium im Konsumgüterbereich sind gute Beispiele: Hier treffen Marktmacht, Commitment und Pragmatismus ebenso aufeinander wie das Wissen darum, dass manche Themen nur längerfristig gelöst werden können. 2012 wird (hoffentlich) mehr davon bringen.
Uwe Wötzel, ver.di Bundesverwaltung – Ressort Politik und Planung:
Die Glaubwürdigkeit der Nachhaltigkeitsberichte der Unternehmen wird stärker auf dem Prüfstand stehen. CSR wird erheblich Bedeutung gewinnen. Die UN-Leitprinzipien zur menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen erfordern eine deutliche Weiterentwicklung der bisherigen CSR-Politik. Engagierte Unternehmen werden stärker und transparenter als bisher ihre gute CSR-Praxis darstellen und damit andere Unternehmen unter Zugzwang setzen. Neue Impulse gibt es bereits. Dies sind die UN-Leitprinzipien zur menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen, die überarbeiteten OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen sowie die jüngste EU-Mitteilung zu CSR. Diese Impulse werden 2012 Wirkung entfalten.