Brüssel (csr-news) – Die Europäische Kommission will die Transparenz größerer Unternehmen verbessern und sie zur Berichterstattung über Nachhaltigkeitsthemen verpflichten. Nach dem am Dienstag vorgelegten Vorschlag müssen Firmen ab 500 Mitarbeitern künftig ihre Grundsätze, Risiken und Ergebnisse in Bezug auf Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelange, Achtung der Menschenrechte, Bekämpfung von Korruption und Bestechung sowie Vielfalt in den Leitungs- und Kontrollorganen offenlegen. Nachhaltigkeitsexperten sehen das Vorhaben kritisch.
Von Thomas Feldhaus und Achim Halfmann
Die EU will, dass größere Unternehmen in ihrem Jahresbericht relevante und wesentliche Fakten zu ökologischen und sozialen Aspekten offenlegen. Der zuständige EU-Kommissar Michael Barnier dazu: „Die heute vorgeschlagenen Rechtsvorschriften betreffen die Transparenz von Unternehmen aller Sektoren“. Allerdings, so Barnier weiter: „Die neuen Regeln werden nur für große Gesellschaften mit mehr als 500 Mitarbeitern gelten, da ihre Einführung für kleine und mittlere Unternehmen möglicherweise mehr Kosten als Nutzen gebracht hätte“.
Für Großunternehmen habe sich die Veröffentlichung von Angaben zu finanziellen und nichtfinanziellen Geschäftsergebnissen dagegen als Vorteil erwiesen, so der EU-Kommissar. Dies trage zu niedrigeren Finanzierungskosten bei, die Unternehmen könnten talentiertere Mitarbeiter für sich gewinnen und seien insgesamt erfolgreicher. Barnier: „Dies ist für die Wettbewerbsfähigkeit Europas und die Schaffung von Arbeitsplätzen von großer Bedeutung. Deshalb sollen die besten Praktiken zum Standard werden“. Schätzungsweise 15.500 Unternehmen in Europa müssten dann zusätzliche Nachhaltigkeits-Informationen bereitstellen. Bisher berichten dazu nur rund 2.500 Unternehmen freiwillig.
Bürokratielasten beschränken
Der nun gewählte Ansatz soll die Beschränkung der Bürokratielasten auf ein Minimum sicherstellen. Statt eines detaillierten „Nachhaltigkeitsberichts“ würden knappe Informationen ein Bild von Entwicklung, Geschäftsergebnissen oder Lage einer Gesellschaft ermöglichen, heißt es in dem EU-Entwurf. Sind Angaben über einen bestimmten Bereich für eine Gesellschaft nicht relevant, können diese ausgelassen werden, was dann allerdings zu begründen ist. Die Offenlegung darf überdies auf Konzernebene erfolgen und muss nicht von den zugehörigen Einzelunternehmen geleistet werden. Den Unternehmen wird ermöglicht, sich dabei auf internationale Leitlinien zu stützen. Genannt werden hier der UN Global Compact, die ISO-Norm 26.000 und der Deutsche Nachhaltigkeitskodex.
Bericht zur „Frauenquote“ verpflichtend
Was die Transparenz im Hinblick auf die Vielfalt in den Leitungs- und Kontrollorganen angeht, so müssen große börsennotierte Gesellschaften Angaben zu ihrer Diversitätspolitik machen und dabei die Aspekte Alter, Geschlecht, geografische Vielfalt sowie Bildungs- und Berufshintergrund abdecken. Offenzulegen sind die Ziele der Diversitätspolitik, die Art und Weise ihrer Umsetzung und die erzielten Ergebnisse. Gesellschaften ohne Diversitätspolitik müssten angeben, warum sie darauf verzichten.
Die Maßnahme war von der Kommission bereits in der Mitteilung zur neuen europäischen CSR-Strategie angekündigt worden. Seitdem wurden zahlreiche Konsultationen mit den einzelnen Mitgliedsstaaten, Unternehmen, Anlegern und anderen Interessensgruppen durchgeführt. Zudem hat das europäische Parlament im Februar zwei Entschließungen zur Unternehmenstransparenz in Bezug auf ökologische und soziale Belange anerkannt.
Nachhaltigkeitsexperten zurückhaltend
Zu der geplanten Berichtspflicht äußerten sich Nachhaltigkeitsexperten auf Nachfrage vorsichtig optimistisch. Die Erstellung von Berichten zu Nachhaltigkeitskriterien könne in Unternehmen Lernprozesse in Gang setzen, sagte Prof. Stefan Schaltegger, der an der Leuphana Universität Lüneburg Nachhaltigkeitsmanagement lehrt. Dies bringe Menschen im Unternehmen miteinander zu Nachhaltigkeitsthemen ins Gespräch. Bei einer freiwilligen Berichterstattung falle der Lerneffekt allerdings intensiver aus. Fraglich sei aber, ob eine Berichtspflicht mehr Transparenz schaffe. Schaltegger: „Transparenz wird nur erhöht, wenn die Informationsqualität auch hoch ist.“ Derzeit sei es „auch eine Aussage“, wenn Unternehmen nicht zu Nachhaltigkeitsaspekten berichteten. Angesichts einer Pflicht seien Qualitätseinbußen bei der Berichterstattung zu befürchten. Die EU werde in einem nächsten Schritt gefordert sein, dafür Standards festzulegen. „Informationsqualität äußert sich einerseits darin, dass alle wichtigen Nachhaltigkeitsthemen des Unternehmens besprochen werden und andererseits, dass die Information aktuell, vollständig, korrekt, relevant und verständlich ist“, so der Wissenschaftler.
Qualitätsverlust in der Berichterstattung
Auch Sabine Braun, Geschäftsführerin der auf Nachhaltigkeitsberichterstattung spezialisieren Agentur akzente kommunikation und beratung, fürchtet einen Qualitätsverlust. „Wenn Informationen wichtig sind, werden sie auch eingefordert: von Investoren, von Kunden, von Mitarbeitern. Eine gesetzliche Verpflichtung, zumal wenn sie inhaltliche Vorgaben enthalten soll, kann den Maßstab nach unten drücken“, so Braun. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung sei noch zu jung, als dass es bereits ausreichend erprobte Indikatoren gäbe, die den Unternehmen quer durch alle Branchen als gesetzlicher Transparenzstandard vorgeschrieben werden könnten. Die Diskussion darüber, wie wir künftig wirtschaften wollen und was wesentlich, machbar und wünschenswert sei, befinde sich in vollem Gange. Braun weiter: „In der Regel beenden Gesetze solche Diskussionen und damit auch jegliche Weiterentwicklung, können sie doch nur einen Mindeststandard setzen, dessen Erfüllung dann allerdings zugleich zur obersten Messlatte wird.“
Nachhaltigkeitsrat begrüßt Initiative
Die Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung, Marlehn Thieme, sagte: „Die EU-Kommission geht in die richtige Richtung. Die interessantere Frage ist nun, wie sich die Bundesregierung dazu verhält – weiter abwartend oder aktiv mitgestaltend?“ Eine Berichtspflichte könne das Interesse der Marktteilnehmer an Nachhaltigkeitsinformationen nicht ersetzen. In den Schlagworten im Vorschlag der EU-Kommission werde noch nicht ausreichend deutlich, ob ein Unternehmen Nachhaltigkeit in die Geschäftsprozesse einwebe. Thieme weiter: „Die Marktakteure müssen nun die richtigen Fragen stellen, um diese relevanten Unternehmensinformationen zu bekommen. Die Honorierung über den Markt kann man nicht verordnen, sollte aber das Ziel von Transparenzmaßnahmen sein.“ Der Deutsche Nachhaltigkeitskodex gehe in seinen Anforderungen noch mehr in die Tiefe – durch die Festlegung von quantifizierbaren Faktoren, die den Kern der Themen unterlegen.
Nachhaltigkeitsverbände reagieren unterschiedlich
Nachhaltigkeitsorientierte Verbände reagierten unterschiedlich auf den Vorstoß: Der Geschäftsführer von future e.V., Udo Westermann, erklärte: „Eine Berichtspflicht mag gut gemeint sein, Nachhaltigkeitsberichterstattung durch den Mittelstand kann sich aber nur auf freiwilliger Basis entwickeln.“ Transparenzpflichten sollten in den Originärgesetzgebungen verankert werden „und nicht einen Hebel konterkarieren, der als freiwilliges Instrument entstanden ist und in der Breite mittelständischer Unternehmen ganz am Anfang einer Entwicklung steht.“
Dagegen begrüßte der Bundesverband Ethik (BVE) den Vorschlag der Europäischen Kommission „als einen entwicklungspolitisch vorbildlichen und nachhaltigen Beitrag für unsere Gesamtwirtschaft in Europa“, so dessen Vertretungsberechtigter Thomas Pfeil. Die gesetzliche Informationspflicht an Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern auszurichten, sei ebenfalls positiv hervorzuheben, denn diese Unternehmen seien aufgrund ihrer Ausstrahlung von zentraler volkswirtschaftlicher Bedeutung für die europäische Gemeinschaft.
Nachhaltigkeitsorientierte Unternehmen verweisen auf ihre Berichterstattung. Eine Sprecherin der Deutschen Börse sagte, bei der Integration der Nachhaltigkeitskennzahlen aus dem bisher separat veröffentlichten Corporate Responsibility-Bericht in den Geschäftsbericht sei die Förderung von Transparenz das Leitmotiv.
Und der Leiter Gesellschaftspolitik und Umwelt der Bayer AG, Dirk Frenzel, erklärte, die Freiwilligkeit der Berichtslegung habe bereits zu Transparenz geführt. Jeder könne vergleichen, ob und wie Unternehmen über ihr Nachhaltigkeits-Engagement berichteten. Frenzel weiter: „Mögliche neue Regulierungen dürfen also nicht Best Practice-Unternehmen Bürden auferlegen.“
NGO: Offenlegung überfällig
Für Oxfam Deutschland erklärte die Expertin für soziale Unternehmensverantwortung, Franziska Hubert: „Diese Offenlegung ist überfällig. Was fehlt, ist jedoch der eindeutige Bezug zur Lieferkette. Denn Arbeitsrechtsverletzungen sind gerade in Produzentenbetrieben an der Tagesordnung.“ Die Bundesregierung müsse jetzt an der Umsetzung des EU-Vorschlages mitarbeiten, damit Verbraucher endlich lückenlos nachvollziehen können, unter welchen Bedingungen Waren produziert würden.
Ich begrüße den Vorschlag der EU-Kommission, gestzlich verpflichtend über Nachhaltigkeitsindikatoren Rechenschaft abzulegen. Der Grund: Eine Berichtsplicht wird auf kurz oder lang Unternehmen ab 500 Mitarbeitern zu nötigen Veränderungen bringen, die unsere Wirtschaft sozialer und ökologischer machen wird. Eine Berichtspflicht führt bekanntlich zur Risikominimierung bzw. Risiko vermeidung, zu Innovationen und zu Dialog mit der Öffentlichkeit, was einen Wandel bewirken kann. Eine Brandkatastophe wie gerade in Bangladesch oder z.B. eine Ölkatastrophe (Deepwater Horizon) wird bei wachsender Transparenz immer unwahrscheinlicher. Je mehr berichtet wird, desto mehr Rechneschft müssen Unternehmen ablegen. Es wird Zeit, dass die Berichtspflicht eingeführt wird.