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Das neue Tierschutzlabel: „Wir steuern über die ganze Kette“

Das neue Label „Für mehr Tierschutz“ des Deutschen Tierschutzbundes stößt auf großes Interesse. „Weil der Gesetzgeber ungenügende Standards setzt, mussten wir handeln“, sagte der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, Thomas Schröder, gegenüber CSR NEWS. 99 Prozent des Fleischangebotes stamme aus einem fragwürdigen System. Lesen Sie hier, was der Tierschutzpräsident, Tierärzte, NGOs und Verbände zu dem neuen Label sagen.

Berlin (csr-news) – Das neue Label „Für mehr Tierschutz“ des Deutschen Tierschutzbundes stößt auf großes Interesse. „Weil der Gesetzgeber ungenügende Standards setzt, mussten wir handeln“, sagte der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, Thomas Schröder, gegenüber CSR NEWS. 99 Prozent des Fleischangebotes stamme aus einem fragwürdigen System. In Deutschland werden in 160.000 Unternehmen 12,5 Millionen Rinder und 4 Millionen Milchkühe gehalten. Hinzukommen 30.000 Betriebe mit 28 Millionen Schweinen sowie fast 60.000 Betriebe mit 114 Millionen Hühnern.

Zwei Jahre arbeitete der Tierschutzbund an dem neuen Label. Die Universität Göttingen untersuchte die Verbraucherakzeptanz eine solchen Labels – mit dem Ergebnis: 20 Prozent der Konsumenten wünschen es und sind zugleich bereit, für ein solchermaßen gelabeltes Fleisch mehr zu bezahlen. Jetzt kann der Kunde an der Ladenkasse abstimmen. „Das wichtigste ist: Der Verbraucher muss kaufen“, so Schröder. Die Verantwortung für den Erfolg des neuen Labels liege nicht allein bei den Landwirten. „Wenn die Nachfrage nicht kommt, dann kommt auch das Angebot nicht.“

Tierschutz entlang der ganzen Kette

Das Label „Für mehr Tierschutz“ geht dabei nicht nur auf die Tierhaltung ein. „Wir steuern über die ganze Kette, das ist neu“, sagte Schröder. Für die Tierhaltung gelten überprüfbare Indikatoren. So dürfen Masthähnchen nicht mehr als 45 Gramm am Tag zunehmen, was die Mastzeit verlängert. Es gibt aber auch Bestimmungen für die Schlachtung und die Vermarktung des Fleisches. So darf bereits in der Eingangsstufe des Labels kein Fleisch mit Tieren auf einer grünen Wiese vermarktet werden, wenn das Tier nie auf einer Wiese gestanden hat.

Mit dem neuen Label will der Deutsche Tierschutzbund den Massenmarkt erreichen. Schröder: „Wir wollen kein Nischen-Luxus-Produkt schaffen“. Es gehe darum, Millionen von Tieren ein besseres Leben anzubieten. Das Label ist zweistufig aufgebaut und umfasst eine Einstiegs- sowie eine Premiumstufe. Die Labelvergabe erfolgt über einen Lizenzvertrag, mit dem sich der Fleischproduzent auf die vorgegebenen Standards verpflichtet und Kontrollen durch Zertifizierungsgesellschaften ebenso akzeptiert wie unangemeldete Überprüfungen durch den Deutschen Tierschutzbund. Zu den Kriterien der Eingangsstufe gehören das Verbot gentechnisch veränderter Futtermittel (mit einer Übergangsfrist von 36 Monaten) und eine Bestandsbegrenzung auf 3.000 Schweine oder 60.000 Masthühner. In der Premiumstufe betragen die Bestandsobergrenzen 950 Schweine und 16.000 Masthühner. Diese „Bestandsobergrenzen sind ein gesellschaftlicher Kompromiss“, so Schröder. Keinesfalls will der Tierschutzpräsident das Label als einen Kaufanreiz für Fleisch verstanden wissen, vielmehr solle damit das Konsumverhalten verändert werden.

Handelsketten wie Kaiser’s Tengelmann, Coop, Edeka, Netto, Famila, Hit, Dohle, Karstadt und real bieten in einigen Regionen gelabeltes Fleisch an. Im März wird Lidl mit einem entsprechenden Angebot folgen. Die Kooperation des Tierschutzbundes mit Unternehmen ist innerhalb der NGO-Szene nicht unumstritten. „Es ist ein schwieriger Weg, ein risikoreicher Weg, aber innerhalb des Tierschutzbundes gehen wir ihn geschlossen“, sagte Schröder. Und auf die Vorhaltungen, das Label enthalte keine Regelungen zu Arbeitsbedingungen, Löhnen oder Umweltaspekten entgegnet er: „Tierschutz von der Geburt bis zum Ende des Lebens ist eine Herausforderung, mehr ist nicht möglich“.

Tierarzt: Keine „Zwei-Klassen-Ernährung“

Für den Tierarzt Prof. Thomas Blaha von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover ist das neue Tierschutzlabel „der berechtigte Versuch, den Verbraucher einzubeziehen, um die Tierhaltung zu verbessern – als eine Alternative zu gesetzlichen Vorgaben“. Mit dem Label würden zunächst kleine Schritte nach vorne gemacht, „und genau die brauchen wir“. Das Tierwohl sei ein öffentliches Schutzgut und dürfe nicht allein der Regulierung durch den freien Markt überlassen werden. Auf globalen Märkten sei eine gesetzliche Regulierung des Tierschutzes aber nur eingeschränkt möglich, deshalb sei das freiwillige Label der richtige Ansatz.

Weiter sagte Blaha: „Wir brauchen ethisch begründet eine bessere Verteilung der Wertschöpfung in der Lebensmittelkette.“ Während Lebensmittelketteneigentümer zu Milliardären würden, rängen viele Landwirte um ihre Existenz. Dass der Einzelhandel Fleisch als Lockangebot unter dem Herstellungspreis anbiete, sei „ethisch hochgradig zu hinterfragen“. Weil der Tierschutz und die Qualität des Fleisches in enger Abhängigkeit zueinander ständen, könne das Problem aber nicht alleine über den Preis gelöst werden. Es dürfe keine „Zwei-Klassen-Ernährung“ geben, in der sich Menschen mit geringen Einkünften keine ausgewogene Ernährung leisten könnten, so Blaha.

Verbraucher wollen gesetzliches Label

Die Leiterin Agrarpolitik des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Reinhild Benning, sagte: „Der BUND begrüßt das Tierschutzlabel als kleinen Schritt in die richtige Richtung.“ Aber erst wenn es in Supermärkten ein größeres Angebot an auf Premiumebene zertifiziertem Fleisch zu kaufen sei, gebe es Grund zum Lob. Dass es bei dem neuen Label eine Einstiegsstufe mit Übergangsfristen gebe, sei in Ordnung, da Landwirte Nachhaltigkeit schrittweise in ihre Produktionskette integrieren müssten.

Das neue Label sei aber kein Ersatz für bessere gesetzliche Regelungen zum Tierschutz. Die öffentliche Meinung fordere solche Gesetzesinitiativen, die Agrarindustrie stelle sich dagegen. Zudem gebe es ein „Kontrolldefizit im Tierschutz, das kaum zu überbieten ist“, so Benning.

Einzelhandel soll Kunden Wahlfreiheit bieten

An dem Tierschutzlabel beteiligt sich der Verein für tiergerechte und umweltschonende Nutztierhaltung NEULAND mit einer Tierzucht auf Premium-Ebene. „Wir sind gewissermaßen das Ziel, die Lokomotive oder das Beispiel“, sagte Bundesgeschäftsführer Jochen Dettmer. Derzeit sei ein Prozent des Fleischangebotes Neuland- oder bio-zertifiziert, die Kaufbereitschaft der Kunden sei aber deutlich höher. Jetzt sei der Lebensmittelhandel gefordert, sich auf das neue Label einzulassen und den Kunden eine Wahlfreiheit zu bieten.

>> Das Label „Für mehr Tierschutz“ im Internet

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