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Chemieindustrie: Klimaschutz Top – Produktsicherheit Flop

Die chemische Industrie wird ihrer Schlüsselrolle für eine nachhaltige Entwicklung der Wirtschaft bislang nur in Ansätzen gerecht. Fortschritten beim Klimaschutz und der Anlagensicherheit stehen Defizite bei der Chemikalien- und Produktsicherheit sowie bei Einsatz und Beschaffung nachwachsender Rohstoffe gegenüber. In einer aktuellen Branchenanalyse hat die Ratingagentur 101 Chemieunternehmen unter die Lupe genommen.

München (csr-news) > Die chemische Industrie wird ihrer Schlüsselrolle für eine nachhaltige Entwicklung der Wirtschaft bislang nur in Ansätzen gerecht. Fortschritten beim Klimaschutz und der Anlagensicherheit stehen Defizite bei der Chemikalien- und Produktsicherheit sowie bei Einsatz und Beschaffung nachwachsender Rohstoffe gegenüber. In einer aktuellen Branchenanalyse hat die Ratingagentur 101 Chemieunternehmen unter die Lupe genommen.

Der Druck auf die Chemiebranche wird zunehmen, so das Fazit der aktuellen Branchenanalyse. Zukünftig wird die Branche stärker auf soziale und ökologische Aspekte bei der Beschaffung und in der Produktion achten müssen. Oliver Rüter, Branchenanalyst bei oekom research: „Gerade die Industriekunden der Chemieunternehmen werden zukünftig verstärkt darauf achten, die eigene Umwelt- und Klimabilanz nicht durch den Bezug in dieser Hinsicht kritischer Chemieprodukte zu belasten“. Es ist eine gigantische Branche mit einem jährlichen Umsatz von über vier Billionen US-Dollar. Rund 20 Millionen Menschen arbeiten weltweit direkt oder indirekt in der Chemieindustrie. Zunehmende Bedeutung gewinnen die Schwellenländer. Für die nächsten Jahre bis 2020 rechnet das American Chemistry Council (ACC) mit einem weiteren Anstieg der weltweiten Chemieproduktion um mehr als 25 Prozent. Besonders stark wird dieses Wachstum in China und Indien ausfallen.

Dabei ist die Branche jetzt schon auf der Suche nach Alternativen für den nach wie vor wichtigen Rohstoff Erdöl. Stetig steigende Preise zwingen zum Umdenken und so kommen vermehrt nachwachsende Rohstoffe wie Stärke, Zucker oder Cellulose in der Kunststoffproduktion zum Einsatz. Insgesamt liegt der Anteil nachwachsender Rohstoffe in der Chemieindustrie allerdings erst bei acht Prozent. Die Aktivitäten der Unternehmen sind hier noch sehr punktuell, heißt es in der Studie. Dies gilt auch für die Maßnahmen der Unternehmen, entsprechende Rohstoffe nur aus nachhaltigem Anbau zu beziehen. Dabei sind die Probleme der konventionellen Rohstoffe – etwa die illegale Abholzung von Regenwald für die Palmölproduktion oder die negativen Auswirkungen von Monokulturen auf Artenvielfalt und Wasserhaushalt – bereits seit Jahren bekannt. „Nur sehr wenige der analysierten Chemieunternehmen, etwa die brasilianische Braskem sowie Akzo Nobel und Symrise, zeigen hier erste Ansätze, soziale und ökologische Kriterien bei der Beschaffung zu berücksichtigen“, erläutert Rüter, die aktuelle Situation. In seiner jüngsten Zukunftsprognose kündigte der Verband der chemischen Industrie (VCI) an, bis 2030 rund 50 Prozent mehr nachwachsende Rohstoffe zu verwenden, als dies heute der Fall ist.

Eines der bedeutendsten Nachhaltigkeitsthemen der Branche ist die Chemikalien- und Produktsicherheit. Bislang mit einer wenig befriedigenden Situation, wie die oekom Analyse zeigt. Jedes Jahr bringt die Chemiebranche zahlreiche neue chemische Verbindungen und Produkte auf den Markt. Nur ein geringer Teil der am Markt verfügbaren Chemikalien wurde umfassend auf die mit ihnen verbundenen Risiken analysiert. „Wir sehen die Unternehmen in der Verantwortung, die Auswirkungen ihrer Produkte über den gesamten Lebenszyklus zu erfassen und zu bewerten,“ so Rüter. Dieser umfasst neben der Produktion und Nutzung der Produkte auch die Beschaffung der Rohstoffe und die Entsorgung. Obwohl ein Großteil der Unternehmen von Risikoanalysen und toxischen Tests berichtet, herrscht über deren Inhalt und Umfang zu wenig Transparenz. Aber es ist nicht nur die Analyse des Risikos, sondern ebenso die Substitution bekannt schädlicher Stoffe, im Idealfall bereits in der Entwicklungsphase. Hier gibt es laut oekom nur wenige Ansätze, beispielhaft wird die deutsche BASF genannt, die ein Instrument entwickelt hat, mit dem Produkte und Prozesse im Hinblick auf Ökoeffizienz verglichen werden können.

Fortschritte dagegen beim Klimaschutz und der Arbeitssicherheit. Rund 22 Prozent der von der Industrie verursachten schädlichen Treibhausgasemissionen werden von Chemieunternehmen verursacht. Die Branche setzt bei der Energiegewinnung nach wie vor hauptsächlich auf fossile Energieträger. Allerdings haben die Bemühungen um eine Steigerung der Energieeffizienz eine spürbare Entlastung bei den Emissionen gebracht. „Vor allem die großen Chemiekonzerne haben oft umfassende Klimaschutzstrategien eingeführt. Diese beinhalten klare Reduktionsziele und umfangreiche Maßnahmen zu deren Erreichung,“ so Rüter. Verbesserungsbedarf gibt es allerdings oft noch bei der Analyse und Darstellung der unternehmerischen Risiken, die sich aus dem Klimawandel ergeben können. Beim Anlagen- und Arbeitsschutz sind, zumindest in den Industrieländern, klare Fortschritte erkennbar. Durch umfassende Managementsysteme zur Einhaltung und Förderung der Sicherheit konnte die Anzahl der Arbeitsunfälle reduziert werden. Häufig bleibt allerdings unklar, ob die von den Unternehmen beschriebenen Maßnahmen nur für die Werke in den Industrieländern gelten oder auch auf eigene Fertigungsstätten bzw. Werke von Zulieferern in Schwellenländern übertragen werden. Schwere Störfälle in der jüngeren Vergangenheit, beispielsweise bei Bayer in den USA oder DSM in Taiwan, zeigen zudem, dass kontinuierlich weiter an der Steigerung der Anlagen- und Transportsicherheit gearbeitet werden muss.

Nur 21 der insgesamt 101 analysierten Chemieunternehmen (21 Prozent) aus 25 Ländern erfüllten die Zulassungsvoraussetzungen für ein detailliertes Rating, lediglich fünf (4,9 Prozent) von ihnen zeigten so viel Engagement für eine nachhaltige Entwicklung, dass sie mit dem oekom Prime Status ausgezeichnet wurden. Er wird an Unternehmen vergeben, die die von oekom research definierten Mindeststandards an das Nachhaltigkeitsmanagement erfüllen. Mit einem B auf der von A+ (Bestnote) bis D- reichenden Skala erreicht das deutsche Gase- und Engineeringunternehmen Linde die beste Note. Auf den weiteren Plätzen folgen Akzo Nobel (NL) und BASF (DE), die beide ein B- erreichen.


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