Der Zugang zu sauberem Wasser ist ein Menschenrecht, dennoch leiden Millionen Menschen weltweit an Wassermangel. Wenn ein Unternehmen Trinkwasser herstellt und verkauft – verletzt es dann die Menschenrechte? Und wie spiegeln Medien diesen Konflikt wieder?
Von Nina Kollegger und Peter Seele
Das Sprichwort „Wasser ist Leben“ erhält eine bedrohliche Dramatik, schaut man sich die aktuellen Zahlen zum Wasserverbrauch an: 884 Millionen Menschen weltweit verfügen nicht über ausreichend sauberes Trinkwasser, so der UN Weltwasserbericht. Um 64 Milliarden Kubikmeter pro Jahr wird der Gesamtbedarf an Trinkwasser steigen – bei einem voraussichtlichen Bevölkerungsanstieg von etwa 80 Millionen Menschen pro Jahr. 70% des sauberen Trinkwassers fliessen in die Landwirtschaft. 80% aller Abwässer in Entwicklungsländern fliessen ungeklärt in die Umwelt. Und 1,5 Millionen Kinder unter fünf Jahren sterben jährlich an Durchfallerkrankungen und Infektionen, die durch unsauberes Wasser, schlechte Hygienebedingungen und mangelhafte Sanitäreinrichtungen verursacht werden.
Der Terminus „Wasser als Lebensquell“ wird besonders dann verständlich, wenn zu wenig (trinkbares) Wasser zur Verfügung steht. Wissenschaftler weltweit warnen vor dem Kampf um das “blaue Gold„ und den verheerenden Folgen durch nicht ausreichenden Zugang zu Trinkwasser. Dabei drängen immer stärker Fragen in den Vordergrund, die zugleich die Verantwortung von Unternehmen adressieren: Wem gehört das Wasser? Wenn Wasser handelbares Privateigentum ist, wer „kauft“ es dann für die abstrakte, juristisch nicht vertretene Natur als Ganzes? Wie soll zwischen wasserreichen und wasserarmen Ländern aufgeteilt werden? Ist ausreichender Zugang zu Wasser ein Menschenrecht? Kann es gleichzeitig eine Handelsware sein?
Wasser als Menschenrecht?
Zumindest eine Frage wurde zwischenzeitlich beantwortet: Seit dem Juli 2010 ist der Zugang zu sauberem Wasser ein Menschenrecht. Allerdings: Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hat keinen völkerrechtlich bindenden Charakter und ist nicht einklagbar. Damit reduziert sich die menschenrechtliche Verankerung auf einen gleichwohl sehr hohen symbolischen und politischen Wert. Oft wird jedoch kritisiert, dass ein nicht einklagbares, symbolisches „Recht“ kein Recht sei, da sich mit Symbolik alleine die Probleme unseres Planeten nicht lösen lassen.
Für ein Unternehmen wie Nestlé, das sich auf die kommerzielle Produktion und Vermarktung von sauberem Trinkwasser positioniert, wirft diese wenngleich nur symbolische Anerkennung Fragen an die Übernahme von sozialer Verantwortung auf: Werden durch die Kommerzialisierung von Wasser als Handelsgut jene ausgeschlossen, die sich beispielsweise aus Gründen der Armut kein sauberes Trinkwasser leisten können? Die Situation ist vertrackt, da eine mögliche Interpretation die sein könnte: Nestlé verletzt durch die Kommerzialisierung von sauberem Wasser das Menschenrecht darauf, da das Zugangskriterium Geld und nicht etwa Durst ist. Auf der anderen Seite wird Trinkwasser erst durch professionelle Produktion in Gegenden erhältlich, in denen es dieses von Natur aus nicht (mehr) gibt.
Wasser als Handelsware?
Der multinationale Lebensmittelkonzern Nestlé nimmt in der Diskussion um die Produktion und die kommerzielle Vermarktung von Trinkwasser eine führende Stellung ein. Inwieweit stehen Wasser und der Wassermarkt in Beziehung zur gesellschaftlichen Verantwortung (Corporate Social Responsibility) des Unternehmens? Wird Nestlé in diesem Zusammenhang von der Öffentlichkeit als verantwortungsvolles Unternehmen wahrgenommen? Im Folgenden werden Ergebnisse einer quantitativen Inhaltsanalyse für das Schweizer Unternehmen Nestlé vorgestellt, für die als Materialstichproben die überregionale Tageszeitung „Neue Züricher Zeitung“, die Boulevardzeitung „Blick“ sowie die „Handelszeitung“ als Wirtschaftsfachzeitung ausgewählt wurden. Die jeweils acht Artikel pro Zeitung wurden mit Hilfe der Schweizer Mediendatenbank (SMD) anhand des Auswahlkriteriums „Nestlé und Wasser” im Oktober 2011 identifiziert. Diese Artikel mit der höchsten Affinität wurden darauf für eine qualitative Inhaltsanalyse anhand der Begriffe „Soziale Verantwortung“, „Wasserknappheit“, „Privatisierung“ sowie „Umsatz/Profit“ kodiert. Die Ergebnisse:
In 20 der 24 Artikel wurde über den Umsatz von Nestlé mit Trinkwasser berichtet. Dabei wurde nur in sechs der acht Artikel der Handelszeitung über den erzielten Profit geschrieben, bei den beiden anderen Zeitungen wurde das Thema in sieben der acht Zeitungsberichte angesprochen. Auch geplante und getätigte Übernahmen im Bereich der Trinkwasserproduktion und -vermarktung scheinen die Medien zu interessieren.
Nestlé in den Medien
Die Kategorie „Privatisierung“ weckte nach „Umsatz/Profit“ am zweitmeisten Aufmerksamkeit. Das Thema wurde beim „Blick“ in vier Artikeln aufgegriffen, in der Handelszeitung in drei und in der NZZ in fünf Berichten. Insbesondere die Überzeugung des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden und aktuellen Verwaltungsratspräsidenten Peter Brabeck, dass Wasser etwas kosten sollte, wird in diesem Zusammenhang wiedergegeben. Die „Neue Zürcher Zeitung“ geht in ihrer Berichterstattung intensiv auf die Frage „Ist Wasser ein Menschenrecht?“ ein, die anderen beiden Zeitungen griffen dieses Thema nicht auf. Ebenfalls als einzige der drei Zeitungen spricht die NZZ die wachsende Kritik an abgefülltem Wasser oder an der Verwendung von Kunststoffflaschen an.
Auf die Kategorie „soziale Verantwortung“ wird in sechs der 24 Artikel eingegangen. Allerdings würdigt die Boulevardzeitung „Blick“ dem Thema keine Zeile, die Handelszeitung und die NZZ gehen in jeweils drei Berichten auf das Thema ein. Die Handelszeitung interessiert sich für den CO2-Fussabdruck, den Nestlé für Getränke erheben liess, sowie für die Kampagne Nestlés „Pure Life“ und den Wasser-Fussabdruck. Nestlé, Clariant, Holcim, Syngenta und Novartis geben damit in Anlehnung an den CO2-Fussabdruck – an, wie viel Wasser für ein Produkt aufgewendet wurde.
In nur einem Artikel insgesamt, welcher bei der NZZ erschien, wird Nestlés firmeneigenes und in Zusammenarbeit mit Michael E. Porter entwickeltes Konzept „Creating Shared Value“ erwähnt. Diesem Ansatz nach konzentrieren sich Unternehmen auf jene Bereiche, die sowohl für die Wirtschaft wie für die Gesellschaft Werte erzeugen. Entscheidend ist dabei die Janusköpfigkeit der Wertschöpfung, wie es sowohl das deutsche Wort „Wert“ als auch das englische „value“ anbieten. Unter dieser Maßgabe tritt Nestlé als ökonomisch wertschöpfendes Unternehmen auf, das seiner sozialen Verantwortung auch insofern gerecht wird, dass es den Zugang zu Trinkwasser in Regionen herstellt, die anderenfalls kein oder nur unsauberes Wasser zur Verfügung haben. Die Frage dessen Bezahlung bleibt, so wie sich einige dafür aussprechen, dass Regierungen oder Hilfsorganisationen in den betreffenden Regionen den Zugang zum kommerziell gewonnenen Wasser gewährleisten, indem sie dieses kaufen und den Dürstenden zur Verfügung stellen.
Die letzte Widersprüchlichkeit lässt sich wohl ohne den Ruf nach einer höheren Instanz wie hier dem gütig zahlenden Staat oder nach zahlungsbereiten Hilfsorganisationen nicht auflösen. Oder wie es Gérard Mestrallet, CEO der GDF Suez, mit Verweis auf eine andere höhere Instanz (ohne unmittelbare Zahlungsbereitschaft) auf den Punkt gebracht hat: „Gott stellt das Wasser zur Verfügung, aber nicht die Zuleitungen.“