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Innovative Arbeitszeitmodelle: ein Gewinn für alle

Nicht erst seit der Einführung der Familienpflegezeit im Januar steht das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ auf der Tagesordnung. Allerdings haben die gesetzlichen Vorgaben bisher wenig erreicht, um Männern und Frauen eine Work-Life-Balance zu ermöglichen. Innovation, Flexibilität und Nachhaltigkeit in der Gestaltung von Arbeitszeiten liegt in den Händen der Unternehmen.

Nicht erst seit der Einführung der Familienpflegezeit im Januar steht das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ auf der Tagesordnung. Allerdings haben die gesetzlichen Vorgaben bisher wenig erreicht, um Männern und Frauen eine Work-Life-Balance zu ermöglichen. Innovation, Flexibilität und Nachhaltigkeit in der Gestaltung von Arbeitszeiten liegt in den Händen der Unternehmen.

Von Tong-Jin Smith

Wenn Kerstin Meise um 16.30 Uhr das Büro verlässt, um ihren Sohn von der Schule abzuholen, hat sie einen Siebenstundentag hinter sich. Mal ist es auch eine Stunde mehr oder weniger, je nachdem wie viel Arbeit anfällt. Gleitzeit und eine reduzierte Stundenzahl ermöglichen es der Betriebswirtin, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen.

Ähnlich geht es Louise Olrik, zweifache Mutter und Vollzeit-Managerin bei Nokia in Berlin. Auch wenn es Kernzeiten im Büro gibt, kann sie bei Bedarf von Zuhause arbeiten, an Telefonkonferenzen teilnehmen und per Login auf alle Daten zugreifen. „Als ich zum zweiten Mal schwanger wurde, riet mir meine finnische Chefin, dass ich mir so viel Zeit nehmen sollte, wie ich brauche, um wieder voll einzusteigen“, erzählt sie. Das sei typisch für die skandinavische Unternehmenskultur, die auf Vertrauen und Flexibilität zugunsten der Familie basiere. Olrik hat sich dann für eine einjährige Elternzeitpause entschieden und war einfach nur für ihre Familie da. „Das tat gut“, sagt sie. „Aber ich war auch froh, als ich wieder ins Büro gehen konnte.“ Allerdings sei sie ja nie ganz weg gewesen, da sie während der Elternzeit immer mit ihrem Team in Kontakt stand. „Ich musste nur nichts entscheiden, sondern konnte einfach von der Seitenlinie aus zuschauen, was mir am Ende den Wiedereinstieg erleichtert hat.“

Gesicherte Ganztagsbetreuung

Dass der Übergang für sie so reibungslos geklappt hat, ist auch einer gesicherten Ganztagsbetreuung für ihre Kinder zu verdanken. Außerdem teilt sie sich mit ihrem Mann, der als Designer 50 Prozent seiner Arbeit im Home Office erledigt, die Familienpflichten. „Er bringt unsere Tochter morgens zur Schule und den Kleinen in den Kindergarten und ich hole sie dann nachmittags ab“, sagt Olrik. Dabei habe sie anfangs Angst gehabt, dass sie für ihren Sohn keinen Kitaplatz finden würde. „Für die ganz Kleinen unter drei Jahren gibt es nicht so viele Angebote. Vor allem dann nicht, wenn man genaue pädagogische Vorstellungen hat.“ Aber am Ende habe sie die Qual der Wahl gehabt, weil sie für ihren Sohn sogar in zwei Kitas einen Platz bekam. Ein Glücksfall, auch in Berlin, wo das Betreuungsangebot vergleichsweise gut ist. Zum einen sind alle Grundschulen, egal ob öffentlich oder privat, als Ganztagsschulen ausgelegt. Zum anderen ist durch die wachsende Zahl der Kindergärten in freier Trägerschaft das Angebot vielfältig. Hier bestimmt eindeutig die Nachfrage den Markt.

Aber unabhängig davon, welche Arbeits- und Karrieremodelle im Einzelfall zum Tragen kommen, das Stichwort heißt Zeitsouveränität, damit Männer und Frauen Familie und Beruf vereinbaren können. Viele Unternehmen haben das erkannt. Immerhin 72 Prozent bieten Teilzeitarbeitsplätze an, so eine Studie, die das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung 2009 im Auftrag des Bundesfamilienministeriums durchgeführt hat. Flexible Arbeitszeiten gibt es bei jedem zweiten, Zeitkonten bei jedem vierten, Telearbeit dagegen nur bei jedem zehnten Arbeitgeber. Betriebliche Kinderbetreuungsangebote sind in sieben Prozent der Unternehmen vorhanden, spezielle Eltern-Kind-Arbeitsplätze in fast keinem. Continental ist eines der wenigen Unternehmen, das alles anbietet. „Wir versuchen, auf die Anfragen unserer Mitarbeiter flexibel zu reagieren“, sagt Holmer Struck, Personalleiter der Continental-Division ContiTech.

Kein reines Frauenthema

Dabei sei der verstärkte Einsatz von Teilzeitarbeit eine Herausforderung, da individuelle Arbeitszeitvorstellungen und die betriebliche Organisation nicht immer zueinander passen. Wobei es in Verwaltungs- und Laborbereichen leichter gelingt als in Produktionsbereichen mit Schichtbetrieben und verketteten Arbeitsprozessen. „Wenn auf der einen Seite gilt, dass nur ein erfolgreiches Unternehmen Arbeitsplätze und Mitarbeitern berufliche Erwerbs- und Entwicklungsmöglichkeiten bieten kann, so gilt auch umgekehrt, dass nur gesunde und zufriedene Mitarbeiter ein Unternehmen erfolgreich und stark machen können“, resümiert Struck.

Dass Teilzeit – von stark reduziert bis vollzeitnah – nicht nur ein Thema für Frauen ist, beobachtet Jürgen Kühn, Programmleiter von worklife@telekom. „Seit 2010 hat sich bei unseren leitenden Angestellten der Anteil der Männer in Teilzeit vervierfacht“, sagt er und stellt fest, dass seit der Einführung des Elterngeldes rund 30 Prozent der Telekom-Väter mehr als zwei Monate in die Babypause gehen. „Als ich vor zehn Jahren Elternzeit genommen habe, wurde ich noch komisch angesehen“, erzählt der zweifache Vater. „Heute ist das anders. Unsere Führungskräfte machen es vor und schaffen für ihre Mitarbeiter ein Umfeld, in dem Veränderungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf normal sind.“ Es sei wichtig, dass Unternehmen ihren Mitarbeitern Auszeiten ermöglichen. „In verschiedenen Lebensphasen hat man verschiedene Bedürfnisse oder Pflichten, denen man nachkommen können muss“, so Kühn.

Dass die Telekom als Unternehmen vom Kulturwandel hin zu mehr Flexibilität und Eigenverantwortung der Mitarbeiter profitiert, steht außer Frage. Zum einen steigert sie damit ihre Arbeitgeberattraktivität, zum anderen erhöht sie die Zufriedenheit, Gesundheit und Produktivität ihrer Mitarbeiter. Und schließlich steigert sie ihre Wirtschaftlichkeit. „Über flexible Arbeitszeitmodelle können wir Positionen besser besetzen, Know-how und Innovationskraft erhalten. Außerdem spart es Kosten, wenn man Stellen nicht ständig neu besetzen muss“, sagt Kühn. In den Bereichen, in denen eine zeitliche und räumliche Flexibilität nur eingeschränkt möglich sei, unterstützt man die Mitarbeiter mit Angeboten wie Medical-Checks, Sport und vielem mehr.

„Alle sind auf dem Weg“

Dabei stellen nicht nur große Unternehmen um, auch in KMU findet man pragmatische Ansätze zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Kleinere Unternehmen nutzen die Möglichkeiten einer systematischen flexiblen Arbeitszeitgestaltung noch zu wenig, wie Simone Back, Projektleiterin bei ArbeitsZeitGewinn feststellt. „Die Welt der Arbeitszeitgestaltung in KMU ist bunt und vielseitig, aber oft nicht geregelt.“ Da sei noch Gestaltungsspielraum.

Insgesamt zeigt sich aber, dass in Zeiten der Internationalisierung und des demografisch bedingten Fachkräftemangels die individuelle Arbeitszeitgestaltung ein Schlüsselthema ist. „Alle sind auf dem Weg“, sagt Sofie Geisel, Leiterin des Netzwerkbüros Erfolgsfaktor Familie. „Aber es braucht Zeit, bis sich eine familienfreundliche Unternehmenskultur flächendeckend etabliert. Dabei sollte niemand sein Lebensmodell verteidigen müssen.“

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