Stakeholder-Dialoge sollten keine oberflächliche Pflichtübung für den Nachhaltigkeitsbericht sein, sondern ernstgemeinte Gesprächsangebote für alle Anspruchsgruppen. Das gilt insbesondere für Unternehmen in kritischen Branchen, die um ihre öffentliche Glaubwürdigkeit kämpfen müssen. Wer da den Dialog mit Stakeholdern als Risiko betrachtet, hat ein Managementproblem.
Von Tong-Jin Smith.
Im Zeitalter der Nachhaltigkeit stehen Stakeholder-Dialoge für verantwortungsvoll wirtschaftende Unternehmen ebenso auf der Agenda wie ein funktionierendes Umweltmanagement. Transparenz und Verantwortung sind hier die relevanten Stichworte.
Allerdings nehmen viele deutsche Unternehmen den Austausch mit externen Anspruchsgruppen nur als reine Pflichtübung im Rahmen ihrer Nachhaltigkeitsberichterstattung wahr, ohne die Ergebnisse in die Unternehmenssteuerung und –strategie einzubinden. Entsprechend finden sich nur vereinzelt Systeme zum Stakeholder-Management, die über reine PR- oder Marketingmaßnahmen hinausgehen – vollkommen unabhängig von der Branche. Zu sehr wird der Dialog als Risiko empfunden, zu groß die Angst, unerwünschte Ergebnisse zu erzielen oder die Kontrolle über den Prozess zu verlieren.
„Diese ablehnende Denkweise ist auf allen Unternehmensebenen zu finden“, sagt Dialog-Moderator Rolf Schneidereit. „Viele haben Angst vor dem Sprung in die Öffentlichkeit, vor Kritik an der eigenen Arbeit oder an der eigenen Person, anstatt darin eine Chance zur Verbesserung zu sehen.“ Dabei sagte schon Benjamin Franklin: „Unsere Kritiker sind unsere Freunde. Sie zeigen uns unsere Fehler auf.“ Und weit vor ihm lehrte bereits Buddha, dass man Kritik nicht einfach nur hinnehmen, sondern sie als Schatz betrachten sollte. Denn nur wenn man die eigenen Schwächen erkennt, kann man an ihnen wachsen. Betrachtet man Stakeholder-Dialoge in diesem Licht, muss man sie als Chance begreifen.
Wie ein Radar
„Wenn Unternehmen Dialoge mit Stakeholdern, vor allem mit ihren Kunden, als Gelegenheit begreifen, direkte Rückmeldungen zu erhalten, können sie daraus Ideen für die Zukunft entwickeln“, so Schneidereit. „Aber viele lassen sich gar nicht erst darauf ein. Lieber schicken sie einen Marktforscher vor, der zur Schutzmauer zwischen Unternehmen und Kunden wird.“ Dabei wirkt ein funktionierendes Stakeholder-Management wie ein Radar: Durch eine offene Kommunikation können sich Unternehmen positionieren und Signale senden. Andererseits erfahren sie von externen Dialogpartnern neue Entwicklungen, Trends und Tendenzen. „Voraussetzung sind natürlich Kriterien wie die Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit der Stakeholder, aber auch die grundsätzliche Bereitschaft der Unternehmen, auf Stakeholder-Anliegen einzugehen“, erklärt Dieter Horst, CSR-Experte bei PricewaterhouseCoopers (PwC).
Weil das aber nicht die Regel ist, stellen Stakeholder-Dialoge in allen Branchen eine enorme Herausforderung dar. „Die meisten Manager sind nicht bereit, einerseits die nötige Transparenz walten zu lassen, und andererseits Ideen von außen aufzunehmen“, sagt Klaus Rainer Kirchhoff, Gründer und CEO der Kirchhoff Consult AG. In Branchen mit Sprengkraft, etwa in der Rüstungs- oder Tabakindustrie, sei die Scheu besonders groß, weil kritische Dialogpartner militanter argumentieren könnten, als es in unverdächtigen Branchen der Fall ist. Andererseits sollten gerade in diesen Branchen Unternehmen in die Offensive gehen und den Dialog wagen, da sie in der öffentlichen Meinung und durch politische Regulierung mit dem Rücken zur Wand stehen. Dass sie dabei gut beraten sind, die AccountAbility 1000 Assurance Principles und AccountAbility 1000 Assurance Standards zu befolgen, steht außer Frage. Wer einen Stakeholder-Dialog nur zum Schein führt, wird schnell entlarvt, verliert seine Glaubwürdigkeit und das Vertrauen des Marktes.
Bitte keine Pseudoveranstaltungen
Trotzdem werden Stakeholder-Dialoge – wie viele CSR-Aufgaben – gerne in die Unternehmenskommunikation abgeschoben, anstatt sie auf der obersten Managementebene anzusiedeln. Daran könne man erkennen, dass in den entsprechenden Firmen die Bereitschaft der Geschäftsleitung fehlt, öffentlich Verantwortung für ihr unternehmerisches Handeln zu übernehmen und als Konsequenz des Dialogs ihre Strategie zu ändern, analysiert Kirchhoff. Umgekehrt führt diese Verweigerung des Managements dazu, dass potenzielle Gesprächspartner – sofern sie den Dialog nicht prinzipiell ablehnen – nach dem Motto „bitte keine Pseudoveranstaltungen“ das Interesse an einem Austausch verlieren und der ganze Prozess von vornherein zum Scheitern verurteilt ist.
Zurückzuführen sei das auf ein Leadership-Problem. „Wer heute durch eine Kaderschmiede gegangen ist und im Top-Management sitzt, hat keinen Kontakt mehr zur Basis und will ihn auch gar nicht“, so Kirchhoff. Demnach leben viele Konzernvorstände in einer abgeschotteten, abgehobenen Welt, in der sie von der Tiefgarage mit dem eigenen Lift in die Vorstandsetage fahren und dort nur noch von Ja-Sagern umgeben sind. Kritik wird da fast als Majestätsbeleidigung aufgefasst.
Wenn sich Top-Manager aber mit Stakeholdern auf einen konstruktiven und gut moderierten Dialog einlassen, ließen sich sogar Probleme ganz unbürokratisch lösen, die zuvor unüberwindbar schienen, wie Kirchhoff weiß. Er stützt sich dabei auf seine Erfahrungen als Moderator und resümiert, dass ein transparent geführter Dialog mit offenem Ausgang und echten Ergebnissen für beide Seiten grundsätzlich sehr wertvoll ist, auch wenn es am Ende heißt: „We agree to disagree“.
Stakeholder-Dialoge sind Chefsache
Das bestätigt auch Thorsten Pinkepank, Head of Sustainabilty Coordination bei der BASF. Das Chemieunternehmen führt bereits seit etlichen Jahren konstruktive Dialoge mit allen wesentlichen internen und externen Partnern. In vielen Fällen ist das Top-Management direkt in den Dialog eingebunden. „Je nach Situation und Thema nutzen wir verschiedene Formen und Kanäle für den Dialog. Den einen Prozess gibt es bei uns nicht.“ So reichen die Modelle des Stakeholder-Dialogs hier von festen Community Advisory Panels – teilweise mit externer Moderation – über globale Nachhaltigkeits-Surveys in allen Anspruchsgruppen bis zu monothematischen Diskussionsforen, die real oder medial stattfinden können.
„Grundlage für alle Dialoge ist, dass wir nicht nur senden, sondern im Austausch mit unseren Stakeholdern lernen und den Blick von außen nutzen“, erläutert Pinkepank. In der Konsequenz haben Stakeholder-Dialoge daher drei Wirkungen im Unternehmen: Lernen, Steuern und Vertrauen aufbauen. Der Lerneffekt beinhalte, dass Chancen und Risiken erkannt und gemanagt werden. In der Steuerung gehe es darum, thematisch Prioritäten zu setzen und sich entsprechend strategisch aufzustellen, während das Vertrauen der Stakeholder die „License to operate“ sei. „Was wir nicht kommunizieren können, können wir nicht realisieren“, sagt Pinkepank und betont, dass die BASF als Mitgründer des UN Global Compact aufgrund ihrer offenen Kommunikation und Transparenz belastbare Beziehungen zu allen relevanten Stakeholdern unterhält. In seinen Augen haben Unternehmen, die Stakeholder-Dialoge als Risiko betrachten, ein schlechtes Risikomanagement.
Risiko ist das Stichwort. Das Thema der Risikoreduzierung liegt Karin Schlömer, Leiterin CSR bei British American Tobacco (BAT), am Herzen, auch wenn die Verbindung von Zigaretten und gesellschaftlicher Verantwortung in der Öffentlichkeit schwer zu kommunizieren ist und zudem gar nicht erwartet wird. Daran wird auch der aktuelle Stakeholder-Dialog vom Oktober „Risikoreduzierung von Tabakprodukten – ein Tabuthema?“ nichts ändern.
Für Greenwashing zu kostspielig
„Wir führen in Deutschland seit zehn Jahren Dialoge mit Entscheidern aus Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Forschung und Medien“, so Schlömer. „Wir sind sozusagen im Abwatschen erprobt.“ Dabei lasse BAT höchste Transparenz walten, denn für Greenwashing sei der Stakeholder-Dialog ein zu kostspieliges Tool. Regelmäßig lädt das Unternehmen alle Stakeholder zu monothematischen Dialogen ein, die gerne kontrovers geführt werden. „Uns wäre lieber, wir könnten noch kontroverser diskutieren, aber dafür fehlen uns zum Teil die Gesprächspartner“, sagt Schlömer. So gibt es Wunschpartner wie Nicht-Raucher-Organisationen oder das Deutsche Krebsforschungszentrum, die nicht an den runden Tisch kommen. Die Gründe dafür seien unterschiedlich. „Manche verweigern den Dialog aus Prinzip, andere scheuen sich, weil die Einladung aus der Tabakindustrie kommt.“
Um Stakeholder von Anfang an in den Planungs- und Strategiebildungsprozess einzubinden, hat BAT jetzt begonnen, ihren Dialogansatz dem Prinzip des Kodesigns anzupassen, anstatt Stakeholdern nur fertige Strategien zur Kommentierung vorzulegen. Das Unternehmen hofft so, interessierte Gruppen besser an der Entwicklung von Richtlinien beteiligen zu können, und Gruppen, die bisher fern geblieben sind, doch noch zu gewinnen.
Im Gegensatz zu Mitbewerbern, die ihr Engagement für „gesündere“ Zigaretten oder verantwortungsbewusstes Werben im Sinne des Jugendschutzes im gleichen Atemzug mit hohen Renditen für ihre Investoren zu nennen, scheint BAT in ihrem gesellschaftlichen Engagement und dem Gesprächsangebot gegenüber Anspruchsgruppen ehrlicher zu sein. So sind die Dialoge nicht Sache der PR-Abteilung, sondern des Vorstandsvorsitzenden Adrianus Schenk selbst. „Es ist ihm ein Anliegen, O-Töne ungefiltert zu hören und direkt reagieren zu können“, so Schlömer. Auch gibt es zu jeder Dialog-Veranstaltung eine öffentlich einsehbare Broschüre, in der Dialogteilnehmer anonym zitiert werden.
Stärke der Anonymität im Online-Dialog
Gerade die Anonymität ermöglicht vielen Partnern erst die Teilnahme daran – und zwar nicht nur bei BAT. Oft ist es sogar von Vorteil, wenn der ganze Dialog anonym stattfindet, wie Gabriela Ender, Entwicklerin der webbasierten Workshop- und Konferenzmethode OpenSpace-Online sagt: „Auch schüchterne Menschen, die sich Face-to-Face nicht trauen, ergreifen hier das Wort, weil sie sich nicht durch die Sprach- oder Körperdominanz anderer abschrecken lassen.“. Das macht den Stakeholder-Dialog offen und hocheffizient, vor allem dann, wenn die Ergebnisse von den Teilnehmern in ihre Organisationen hineingetragen und umgesetzt werden.
Dr. Tong-Jin Smith ist freie Journalistin und lebt mit ihrer Familie in Berlin.
tong-jin.smith@csr-magazin.net