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“Was gibt’s Neues aus Nordafrika?” – Unternehmen an der Front

Westliche Unternehmen begrüßen die Umbrüche in Nordafrika ebenso wie die offizielle Wirtschaftspolitik. Macht der arabische Frühling alles neu? Über die unternehmerischen Herausforderungen der noch jungen Demokratisierung

Von Golrokh Esmaili und Jussi U. Isaksen

Nach achtmonatiger Belagerung lässt der brutale Feldherr die Hochburg der Abtrünnigen schleifen und richtet ein blutiges Massaker an. Die europäische Großmacht jenseits des Mittelmeeres besteht auf einer Auslieferung des Kriegsverbrechers; ansonsten wäre der Handelsfrieden gebrochen – und es gäbe offenen Krieg. Aber Nordafrika ist sich seiner großen ökonomischen Macht bewusst und nimmt den ungleichen Kampf an. Man sinnt auf Rache; es juckt der Stachel alter Schmach. Als aber auch der letzte Kampfelefant gefallen ist und der Kriegsgrund Hannibal vernichtend geschlagen wird, besinnt sich Karthago darauf, was es immer war und sein wollte: befriedete Handelsrepublik. Und so ist Karthago zwar auf dem Schlachtfeld geschlagen, als geläutertes Africa Nova wird es mit seinen überaus produktiven Manufakturen jedoch zu einer der reichsten Provinzen Roms; als Kornkammer ist es dem hungrigen Großreich zudem unabkömmlich. Den Lateinern wird die Frage “Quid novi ex Africa: Was gibt’s Neues aus Afrika?” zum geflügelten Wort.

Karthago heißt heute Qartadsch und ist ein wohlhabender Vorort von Tunis, der auch nach der Jasminrevolution ungebrochene Prosperität ausstrahlt. Und das Korn unserer Tage ist das Öl. Weiter östlich im neuen Afrika Roms, dem heutigen Libyen, liegt viel davon. Der Westen hat sich dadurch lange kaufen lassen. Der humanistische Erbnehmer der Antike hat Ethik hinter vermeintliche Handelszwänge gestellt. Bis es den unerwarteten Aufstand der Entrechteten gab. Zunächst zögerlich, fordert man schließlich den Rückzug der lange umworbenen Despoten.

Nofretete wichtiger als Bevölkerung

Die Umbrüche in der arabischen Welt kamen für Politik, interessierte Öffentlichkeit und Wirtschaftswelt gleichermaßen überraschend: Der Westen hatte sich über lange Jahrzehnte damit eingerichtet, autoritäre Regime als erklärte Garanten für geopolitische und außenwirtschaftliche Stabilität zu dulden oder gar aktiv zu fördern. Die arabischen Staaten Nordafrikas galten als weitestgehend unproblematisch – und wurden als zuverlässige Handelspartner an der Schwelle Europas geschätzt; Unruheherde gab es zu Genüge woanders auf der Welt. In der Konfrontation mit dem islamistischen Terror war man zudem für jeden Verbündeten dankbar, der vor Ort die religiösen Fundamentalisten klein hielt. Darüber hinaus bildeten die autoritären Regime Nordafrikas einen nützlichen Riegel gegen die nach Europa strebenden Flüchtlingswellen Schwarzafrikas. Dafür verschloss man schon mal die Augen und das Herz, wenn von diesen Regenten die Menschenrechte systematisch mit Füßen getreten wurden und die gesamte Bevölkerung allgemeinen Repressalien ausgesetzt war. Selbst ein Ghaddafi wurde bestenfalls als schrulliger Exzentriker wahrgenommen – mit dem man bei Berücksichtigung seiner Eitelkeiten jedoch durchaus gute Geschäfte machen konnte. Mit dem Öl als erpresserischem Unterpfand ließ man dem Despoten allerhand durchgehen.

Versucht man im Presse-Rückblick, etwaige Spuren für sich abzeichnende Veränderungen in der Wahrnehmung herauszulesen, so lässt sich beim besten Willen nichts Stichhaltiges finden. So berichtet der SPIEGEL noch bis ins letzte Jahr vor allen Dingen über archäologische Streitigkeiten, Tauchunfälle und die antiken “Zivilisationskrankheiten der alten Ägypter”, wenn es etwa um das Land am Nil ging. Dabei entsteht ein mumifiziertes Bild, das mit Pyramiden, Königsgräbern und Sphinxen ausstaffiert ist. Man kann sich zuweilen des Eindrucks nicht erwehren, dass in der Berichterstattung, die vor Weihnachten 2010 fällt, dem Verbleib der Nofretete-Büste ein größeres Interesse beigemessen wurde als dem Alltag und Schicksal der modernen ägyptischen Bevölkerung.

Aber mal ehrlich … wer hat es denn kommen sehen? Wohl die wenigsten haben die arabischen Revolutionen in dieser Form für möglich gehalten. Selbst der altgediente geo-strategische Realist Henry Kissinger macht keinen Hehl daraus, dass er weder Charakter, Zeitpunkt oder Dringlichkeit des breiten Aufbegehrens auf dem Plan hatte. Allein sein diplomatisches Diktum, ein Mann von Welt dürfe sich von nichts kalt erwischen lassen, habe sich mal wieder als dienlich erwiesen.

Business as usual?

Die große Politik schien zunächst etwas erschrocken und brauchte ein bisschen, um sich gedanklich von alten Verbündeten und eingeschliffenen Denkmustern zu lösen. Man ist dann doch relativ schnell und beinahe beherzt über seinen langen historischen Schatten gesprungen, der auch ein dunkler kolonialer ist, und hat den Menschen jenseits des Wassers den Freiheitswillen zugestanden, den der Westen auf seinem Banner vor sich her trägt.

Auch wenn wir alle die vorrevolutionären Zustände nicht an uns heran gelassen haben, so steht auf einem ganz anderen Blatt, wie wir jetzt mit der veränderten Lage umgehen. Bemerkenswert ist dabei durchaus, dass in Wirtschaft, Politik und nach allgemeinem Empfinden eine große Einigkeit darüber herrscht, dass die Umbrüche in der arabischen Welt ihre absolute Berechtigung haben. Fragt man bei deutschen Unternehmen nach, die in den Ländern des arabischen Frühlings präsent sind, so bekommt man in der Regel einen wohlwollenden Dreisatz geliefert: Erstens begrüßen wir den demokratischen Aufbruch; zweitens sind unsere Geschäfte davon weitestgehend unbeeinträchtigt; drittens erhoffen wir uns durch die Demokratisierung eine Intensivierung der Zusammenarbeit.

Business as usual, also? Ähnliches verlautbaren Politik und wirtschaftliche Interessenverbände. Und es scheint sich bei diesem breiten und zunächst kaum hinterfragten Konsens tatsächlich nicht nur um eine leere programmatische Ansage zu handeln; so sorgte Mubaraks Abgang im Februar diesen Jahres für einen gewaltigen DAX-Kurssprung auf ein zwischenzeitliches Drei-Jahres-Hoch. Und das mit der klaren Perspektive, dass nach der implosiven Auflösung der bisherigen Herrschaftsstrukturen das große demokratische Durcheinander ausbrechen kann. Das ist neu: Selbst die ansonsten mitleidlosen Märkte scheinen sich auf das unsichere Versprechen einer gerechteren Zukunft einlassen zu wollen. Eine gerechte Zukunft der “Anderen”, wohlgemerkt. In der Vergangenheit setzte ein zynischer Globalismus nicht selten auf die krude Formel, dass suppressive Regime bisweilen mit gewinnbringenden Standortvorteilen wie einer von Wahlen nicht angefochtenen Planungssicherheit und einer rechtlosen Belegschaft als unerschöpflicher workforce punkten konnten. Eine hohnvoll interpretierte “unternehmerische Gesellschaftsverantwortung” hätte man zu anderen Zeiten vielleicht lediglich darin verstanden, größtmögliche Erträge nach Hause abzuführen.

Mit Pharaonen Kamelmilch trinken

Und es ist noch gar nicht so lange her, dass von Unternehmerseite – gerade in Bezug auf die arabische Welt – recht unverhohlen postuliert wurde, dass man gar nicht anders könne, als sich den lokalen Gepflogenheiten der Gastwirtschaft anzupassen: Willst du für den Pharao Pyramiden bauen, musst du mit ihm Kamelmilch trinken. – International tätige Unternehmen müssen sich dabei fragen, ob sie vorauseilend einem opportunistischen Kulturrelativismus nachhängen – oder mit ihrem Handeln auf fremden Märkten auch ihre heimischen Maßstäbe mit universalistischem Anspruch vertreten. Es gibt eine Reihe von Grund- und Arbeitsrechten, die überall Bestand haben sollten; und auf deren Einhaltung zu bestehen, sollte nicht als westlicher Kultur-Missionarismus diskreditiert werden. Auch macht man es sich zu einfach, wenn man sich etwa von dem Gedankendreh korrumpieren lässt, dass “Bakschisch” so etwas wie ein gute alte Tradition des Orients sei, und Schmiergeld-Zahlungen damit nichts anderes als die Pflege eines althergebrachten Kulturguts.

Wirtschaftliche Herausforderungen folgen

Dass nun eine große zustimmende Einigkeit herrscht, was die Berechtigung der arabischen Revolutionen abgeht, sollte nicht den Blick dafür verstellen: Im unternehmerischen und wirtschaftlichen Bereich stehen die großen Herausforderungen noch an. Man kann sich in diesem Zusammenhang in Erinnerung rufen, dass am Anfang des demokratischen Aufbegehrens auf dem Maghreb und dem Maschrek ein einzelner tunesischer Händler stand, der gegen ständige behördliche Schikane und Misshandlung aufbegehrte. Ökonomische Ungerechtigkeit und berufliche Perspektivlosigkeit haben hier eine ungeheure Sprengkraft entwickelt, die in einem gewissen Sinne vor-politisch ist, zumindest was das fehlende Schwingen von ideologischen Parolen betrifft. Der Tod des jungen Mohamed Bouazizi wurde zum Fanal für eine vernetzte Generation, die trotz Bildung und Arbeitswillen keine Zukunft für sich sieht.

Ungleich größere wirtschaftliche Einheiten berufen sich zuweilen darauf, dass sie weniger prägende gesellschaftliche Kraft seien, sondern lediglich auf die vorgegebenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen reagieren könnten, wenn sie denn im Geschäft bleiben wollen. So hat Google lange in Bezug auf den gigantischen chinesischen Markt argumentiert, bis man eingesehen hat, dass eine Selbstzensur im höchsten Maße der eigenen Unternehmensphilosophie widerspricht. Als im Frühjahr diesen Jahres der ägyptische Google-Manager Wael Ghonim zwischenzeitlich eingekerkert und nach seinem Freikommen zu einem der Gesichter der Revolution auf dem Tahrir-Platz wurde, war das für das Unternehmen wie ein nachhaltiges historisches Bookmark, das nicht mehr so einfach aus dem Firmen-Gedächtnis zu löschen sein wird. Auch Twitter trat tatkräftig in Erscheinung, als das Unternehmen nach einer Internetblockade kurzfristig die technische Möglichkeit einrichtete, über Festnetztelefone Twitter-Nachrichten auszutauschen. Nicht allen Unternehmen der Informations-Technologie und Kommunikationsbranche gelang in Tunesien und Ägypten eine vergleichbar klare Positionierung. So machten sich Vodafone und eine Tochter der France Telecom in Ägypten – unter Protest – zum Handlanger des wackelnden Regimes, als man auf Anweisung Propaganda-Kurzmitteilungen verschickte.

Unternehmen an vorderster Front

Wenn man so will, befanden sich die Unternehmen der Telekommunikation gewissermaßen an vorderster Front der nicht ohne Grund “Facebook-Revolution” genannten Umwälzung. Für viele Unternehmen und Händler der konventionellen Wirtschaft bringen Umbrüche zunächst einmal große Unsicherheit ins laufende Geschäft. So hört man in Libyen und Syrien die Stimmen des kleinen und mittelständischen Handels, die das wirtschaftliche Chaos nach dem Ende der wackelnden Regime fürchten. Und es gibt natürlich Geschäftsleute, die vom jahrzehntelangen Status quo als Teil des Systems profitiert haben.

Was das Engagement deutscher und internationaler Unternehmen in den Ländern des arabischen Frühlings angeht, so wird sich wohl erst nach der ausstehenden demokratischen Konsolidierung zeigen, ob die Revolutionen Auswirkungen auf Unternehmenskultur und Geschäftsethik hatten. Die Zukunft wird im Detail zeigen, wie tragfähige Geschäftsmodelle entwickelt werden, die sich an den veränderten Prämissen einer echten Demokratie orientieren.

Und vielleicht sollte das überraschende Anbrechen des arabischen Frühlings jedem international tätigen Unternehmen eine Erinnerung daran sein, dass es in unserer schnelllebigen Zeit jederzeit und überall zu großen Veränderungen kommen kann. Henry Kissinger würde dazu mit sonorer anglo-fränkischer Stimme sagen: “Unverhofft kommt oft. So you’d better be prepared!” – Man wird sich nicht mehr darauf berufen können, dass man in einer globalisierten Welt die universellen Werte zu Hause vergessen hat.


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