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„Nachhaltigkeit im Tourismus darf nicht nur Add-on sein“

Zwar habe es der Fair Trade Urlaub mittlerweile „aus der Ökoecke geschafft“, meint die Politologin Susanne Fischer. Von einem Siegeszug des nachhaltigen Reisens könne aber keine Rede sein – obwohl Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sich seit langem dafür stark machen.

Von Martina Borusewitsch (CSR MAGAZIN)

Die Sommerferien stehen vor der Tür. Die Hauptreisezeit beginnt! Erholung und Abwechslung vom Alltag werden im Urlaubsort erhofft – zum Beispiel in der All-Inclusive-Hotelanlage, mit Pool und Strand vor der Tür. Möglichst zum kleinen Preis. Und die Auswahl an Pauschalangeboten ist groß, die Konkurrenz zwischen den Reiseveranstaltern erbittert. Doch Billigangebote haben ihren Preis – und den zahlen nicht nur die Reisenden, sondern beispielsweise auch die Hotelangestellten, die zu Niedrigstlöhnen dort arbeiten, wo andere ihre Ferien verbringen.

Wie steht es mit der gesellschaftlichen Verantwortung in der Tourismuswirtschaft? Und welchen Beitrag leisten Nichtregierungsorganisationen (NGOs) zur Nachhaltigkeit im Tourismussektor?

Die globale Fair-Trade-Debatte hat mit dem Welt-Gipfel von Rio 1992 auch die Tourismusbranche erreicht. NGOs wie Tourism Concern oder die Umweltstiftung WWF fordern einen verantwortungsvollen Umgang mit den Menschen in den Reiseländern („Destinationen“), den Erhalt der lokalen Kultur und einer intakten Umwelt. Sowohl die Tourismuswirtschaft als auch die Reisenden, die lokale Bevölkerung und deren Regierungen sollen wirtschaftlich profitieren.

Klassischerweise erfüllen NGOs dabei die Rolle des „Watchdog“. Sie decken Missstände auf, sprechen in der Öffentlichkeit für die, die keine Lobby haben. Sie verfügen über Expertise, erarbeiten Vorschläge sowie Forderungen an Industrie und Politik. Sie prangern an und erzeugen moralischen Druck. NGOs kontrollieren, ob sich Unternehmen an ihre Codes of Conduct halten oder CSR nur als Greenwashing betreiben.

NGOs kooperieren aber auch mit Wirtschaft und Politik. Ein Beispiel dafür ist der Kodex zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung. Kinderprostitution ist eine der schlimmsten Schattenseiten des Tourismus. Rund 1000 Unternehmen und Verbände in fast 40 Ländern haben den Code of Conduct unterzeichnet.

Spätestens mit dem CSR-Tag auf der größten Fachmesse für Tourismus ITB (Internationale Tourismus-Börse) im Jahr 2009 in Berlin habe es der nachhaltige Tourismus „aus der Ökoecke geschafft“, sagt die Politologin Susanne Fischer im Gespräch mit dem CSR MAGAZIN. Das habe dem sozial- und umweltverträglichen Reisen zwar einen Push verliehen und in der Öffentlichkeit sichtbar gemacht. Auf dieser Ebene stagniere der Faire Tourismus aber nun, fürchtet die Münchner Wissenschaftlerin, die zum Thema Tourismus forscht.

Denn bei allem Engagement stoßen Nichtregierungsorganisationen an finanzielle und personelle Grenzen. Entscheidend für einen Wandel zum nachhaltigen Tourismus sind daher Reiseveranstalter und Konsumenten.

Es gibt auch Reiseveranstalter, deren Kerngeschäft nachhaltiges Reisen ist. „Studien Kontakt Reisen“ aus Köln beispielsweise hat als erster deutscher Reiseveranstalter die gesamte Wertschöpfungskette seines Reisepakets „Gardenroute – fair and fine“ nach Südafrika nach den anspruchsvollen Kriterien von Fair Trade in Tourism South Africa (FTTSA) überprüfen und zertifizieren lassen. Auch über das „forum anders reisen“ bieten Reiseveranstalter nachhaltigen Urlaub an. Entscheidend sei, so Susanne Fischer, dass Nachhaltigkeit nicht nur ein „Add-on“ ist, ein Zusatz. Unternehmen müssten die sozialen und ökologischen Prinzipien systematisch integrieren, vor allem auch entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Dazu gehören Reiseveranstalter, Reisebüros, Hotels, Airlines und Anbieter vor Ort.

Verschiedene Studien zeigen ein gestiegenes Bewusstsein für CSR bei Reisenden: 44 Prozent der europäischen Verbraucher wären „sehr bereit“, mehr für ein Produkt zu bezahlen, das Sozial- und Umweltkriterien berücksichtigt. Das hat das Mori Research International Center for CSR Europe 2004 in einer Studie herausgefunden. Einer Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung aus dem Jahr 2009 zufolge ist einem Drittel der reiseaktiven Haushalte in Deutschland ein faires und verantwortliches Handeln von Unternehmen wichtig. Durchschnittlich seien sie bereit, etwa acht Prozent mehr für eine solche Reise zu zahlen.

„In der Praxis sieht es aber leider anders aus“, weiß Susanne Fischer. Da zähle eher die Devise, lieber billig und öfter in den Urlaub zu fliegen, anstatt mehr zu bezahlen. Auf die Kriterien des nachhaltigen Tourismus achte nur eine „sehr begrenzte Gruppe“.

„Breitenwirksam wird CSR im Tourismus nur dann, wenn es im Bewusstsein der Kunden mehr und mehr zu einem ‚üblichen’ Qualitätsmerkmal einer Reise wird“, formuliert der Evangelische Entwicklungsdienst (EED).

Zahlreiche Initiativen und Verhaltenskodizes sind vorhanden, doch bislang gibt es kein verbindliches, allgemein akzeptiertes und angewandtes CSR-System. Eine Vielzahl von Gütesiegeln ist auf dem Markt, die für den Reisenden jedoch sehr unübersichtlich ist.

Was Unternehmen tun können, um Reisen nachhaltig zu gestalten, fasst der EED in sechs Punkten zusammen: (1) Inhaltlich sollen Menschenrechte, Arbeitsnormen, Umweltschutz und die faire Beteiligung der lokalen Bevölkerung Schwerpunkt sein. (2) CSR muss über gesetzliche Regelungen hinausgehen und darf diese nicht ersetzen. (3) CSR ist nicht die Summe von Einzelmaßnahmen, sondern muss im unternehmerischen Kerngeschäft verankert sein und es nachvollziehbar verändern. (4) CSR-Aktivitäten müssen im Rahmen von Nachhaltigkeitsberichten offengelegt werden anhand eines (5) allgemein anerkannten Berichtswesens. (6) Monitoring und Zertifizierung müssen von unabhängiger Seite geschehen.


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