Ein Gastbeitrag von Frank Brodmerkel.
“Es stellt sich immer mehr heraus, dass die frühzeitige Beteiligung von Bürgern und Verbänden bei großen Infrastrukturvorhaben am Ende der Akzeptanz und damit der Realisierbarkeit dient” – Norbert Röttgen
In der letzten Zeit gab es zwei aufsehenerregende politische Ereignisse, die das Thema Beteiligung der Bürgergesellschaft prägen werden. Zum einen ist dies die Wahl von Winfried Kretschmann zum Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Kretschmann hatte schon bei der Vorstellung seines Koalitionsvertrages mit der SPD einen neuen Politikstil unter dem Motto „Politik des Gehörtwerdens“ angekündigt. Dieser neue Politikstil solle sich vor allem in einer verstärkten Bürgerbeteiligung widerspiegeln, sagte Kretschmann. “Alte Grabenkämpfe werden wir nicht weiterführen.” Nichts solle gegen den Bürgerwillen umgesetzt werden. Der Bürgerentscheid zu Stuttgart 21 ist – unabhängig von seinem Ausgang – schon ein erster Schritt in diese Richtung.
Die zweite entscheidende Nachricht ist das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zu mehr Rechten für Umweltschützer. Umweltverbände haben damit in Zukunft mehr Möglichkeiten, umstrittene Infrastrukturprojekte vor Gericht prüfen zu lassen und zu stoppen. Dieses Grundsatzurteil gesteht Umweltverbänden das Recht zu, gegen die Verletzung von Umweltschutz-Vorschriften zu klagen, etwa Gewässer- oder Immissionsschutzregeln. Das war ihnen bisher nach deutschem Recht verwehrt. Nicht nur Umweltgruppen freuten sich deshalb über diesen Erfolg. Auch Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) sieht diese Entscheidung positiv: “Es stellt sich immer mehr heraus, dass die frühzeitige Beteiligung von Bürgern und Verbänden bei großen Infrastrukturvorhaben am Ende der Akzeptanz und damit der Realisierbarkeit dient”.
Die Süddeutsche Zeitung lobte in ihrem Kommentar das Urteil als ein Meisterstück, bei dem es keine Verlierer gäbe. „Man muss kein Hellseher sein, um vorherzusagen, dass damit künftig sehr viel mehr Prozesse gegen geplante Kraftwerke oder Industrieanlagen geführt werden. Und eben darin liegt eine große Chance – nicht für Stillstand, sondern im Gegenteil für Fortschritt.“ und weiter: „Wenn nun Umweltverbände ein eigenes Klagerecht bekommen, dann können sie alle ihre Bedenken frühzeitig vor Gericht formulieren. Dort ist – anders als auf der Straße – ein sachlicher Austausch von Argumenten möglich. Dort können sie rechtskräftig feststellen lassen, ob ihre Bedenken berechtigt sind oder nicht. Das muss nicht, aber es kann dazu beitragen, das Unbehagen zu reduzieren.“
Rolle der Zivilgesellschaft bei der Konsensfindung
Die Stimme der Bürgergesellschaft wird durch diese zwei Entwicklungen weiter gestärkt und verändert unsere Gesellschaft insgesamt. Denn nicht erst seit Stuttgart 21, spätestens aber seit Fukushima, haben sich die Prozesse der Entscheidungsfindung in Politik und Gesellschaft verändert. Die Bedeutung der Zivilgesellschaft bei der Konsensfindung hat stark zugenommen und wird weiter zunehmen. Beschlüsse „per Order de Mufti“ sind heute – wenn vielleicht auch rechtlich abgesichert – nicht mehr akzeptiert.
Statt einer nur einseitigen Information top down ist heute ein frühzeitiger Dialog mit den (lokalen) Interessengruppen zwingend nötig. Ohne die Teilnahme der Zivilgesellschaft an der Entscheidungsfindung gibt es kaum noch Konsens. Die Rolle des einzelnen Bürgers wurde gestärkt. Viele sehen dies kritisch, da dadurch Prozesse langwieriger werden und die Umsetzung auch scheitern kann.
Umso entscheidender für die erfolgreiche Realisierung von Infrastrukturprojekten wie der anstehenden Energiewende ist die professioneller Kommunikation mit den beteiligten Interessengruppen. Der Aufbau eines wirklichen Dialoges auf Augenhöhe, die neutrale und frühzeitige Information und die Diskussion aller Alternativen auf dem Weg zu einer Konsensfindung ist Aufgabe von Community Relations. Ziel ist es, die Akzeptanz möglichst aller Interessengruppen zu gewinnen.
10 Fehler bei der Kommunikation mit Interessengruppen
Viele Projekte scheitern, weil sich Fronten bilden, die Gegner nicht mehr zu einem wirklichen Dialog in der Lage sind. Fehler – bewusst oder unbewusst – werden auf inhaltlicher Seite gemacht, aber häufiger in der Kommunikation miteinander. Worauf hier zu achten ist, sollen die 10 folgenden Punkte zeigen.
1. Kein Dialog: Es wird kein wirklicher Dialog gesucht, sondern nur verkündet/informiert (top down), was in Planungsentscheidungen „per order de Mufti“ beschlossen wurde. Oder die Öffnung in Richtung der betroffenen Bevölkerung erfolgt zu spät, wenn ein Konflikt schon ausgebrochen ist. In beiden Fällen stößt fehlende Transparenz auf Unverständnis und erzeugt starken Widerstand bei den Bürgern. Paradebeispiel hierfür ist Stuttgart 21. Erst, als das Kind schon im Brunnen lag, hat man mit der Schlichterrunde begonnen, einen Dialog zu versuchen. Ob erfolgreich, wird sich noch weisen, zumindest haben die Kontrahenten wieder miteinander gesprochen.
2. Keine ausgewogenen Informationen: Ebenso wenig zielführend ist es, zwar frühzeitig durch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit auf die betroffenen Gruppen zuzugehen, doch die Informationen nicht ausgewogen und neutral zu gestalten, sondern als Marketinginstrument für die eigene Sache einzusetzen. Hier hilft es, möglichst unabhängige Experten einzubinden und einen breiten Informationspool zu schaffen, bei dem alle Interessengruppen zu Wort kommen und sämtliche Alternativen vorgestellt werden.
3. Unverständliche und/oder nicht relevante Information: Neben marketing-lastigen, d.h. einseitigen Informationen sind auch jene relativ wertlos, die sich hinter Fachchinesisch und/oder Beamtendeutsch verstecken. Schlimmstenfalls sind diese Informationen gar nicht relevant für die Sache. Oft wird solch ein Gebahren als taktisches Mittel eingesetzt, um Aussagen zu verschleiern oder strittige Punkte, und Probleme zu verbergen. Doch wer so mit seinem Gegenüber umgeht, darf kein Verständnis oder Dialogbereitschaft erwarten. Maßstab sollte deshalb immer der Laie sein, der von der Thematik das erste Mal erfährt und umfangreiche Erklärungen braucht.
4. Kommunikationsmethoden und Kanäle passen nicht zum Zielpublikum: Nicht nur die Inhalte und die Absicht müssen stimmen, sondern auch die Methoden und Kanäle der Kommunikation. Was nützt eine Facebook-Plattform oder andere Social Media Aktivitäten, wenn die Betroffenen mehrheitlich solche Kommunikationskanäle nicht nutzen? Hier muss man mit Fingerspitzengefühl vorgehen und lieber mehrere Kanäle parallel anbieten. Für den Dialog bieten sich unterschiedliche erprobte Möglichkeiten für alle Zielgruppen, seien es Workshops oder Bürgerforen, Bürgerbefragungen, Zukunftswerkstätten und Bürgerforen im Internet, Computerplanspiele, etc.
5. Alternativen werden vernachlässigt: Der zentrale Punkt einer Planungsentscheidung muss die gerechte Abwägung aller öffentlichen und privaten Belange sein. Dazu gehört es, sämtliche technischen Planungsalternativen vor Ort zu prüfen und jene auszuwählen, die den breitesten Konsens findet. Doch oft wird dies gar nicht ernsthaft erwogen, sondern man versucht, die vorgefassten Pläne durchzudrücken. Akzeptanz wird dann erreicht, wenn die Strategie verständlich dargestellt und der Nutzen der Maßnahme nachgewiesen werden kann. Der Nachweis, dass alle Alternativmaßnahmen ausgeschöpft sind und Beschränkungen auf das unumgängliche Maß reduziert werden, kann die Akzeptanz auf allen Seiten erhöhen. Denn Nutzen oder Vorteil der einen bedeutet meist Kosten oder Nachteile für andere. Dies muss klar kommuniziert werden. Dabei muss man die „Verliererseite“ mit ihren Sorgen ernst nehmen und ihr offen begegnen.
6. Kommunikatoren sind nicht glaub- bzw. vertrauenswürdig: Dialog und Diskussion können nur auf Augenhöhe geführt werden, wenn die einzelnen Kommunikatoren mit ihren Motiven, Funktionen und ihrer Motivation klar erkennbar sind. Wer hier nicht mit offenen Karten spielt, darf sich über fehlende Glaub- und Vertrauenswürdigkeit bei der Gegenseite nicht wundern. Politik und Industrie haben hierbei meist gegen größere Resentiments anzukämpfen, als Wissenschaftler, Verbraucherverbände oder Umweltgruppen. Umso gewissenhafter müssen sich solche Kommunikatoren vorbereiten und umso nachprüfbarer müssen ihre Aussagen sein.
7. Gegner werden nicht als kompetent anerkannt: Wenn der Dialog mit Interessengruppen nur als lästiges Übel angesehen und die Gegenseite nicht als kompetent akzeptiert wird, ist die Kommunikation zum Scheitern verurteilt. Oftmals verhalten sich Kommunikatoren in dieser Situation arrogant und konfrontativ, sie sind an einem Dialog auf Augenhöhe nicht interessiert. Auf die Argumente der Gegenseite wird gar nicht eingegangen oder sie werden nicht ernst genommen, es wird abgewiegelt. Solch ein Verhalten, egal, von welcher Seite, ist natürlich inakzeptabel.
8. Fehlende Moderation: Schwierig und konfliktträchtig ist der Dialog mit Interessengruppen immer, doch problematisch wird es, wenn ein solcher Dialog ohne professionelle Moderation stattfinden muss. Moderator kommt von moderat, das bedeutet gemässigt, neutral. Moderation bedeutet denn auch Mässigen oder Schlichten zwischen mehreren Gruppen. Dazu gehört es, weder Partei zu ergreifen, noch Argumente zu werten oder zu kommentieren. Alle Gruppen gleichermassen zu Worte kommen zu lassen. Aktuelles Beispiel ist auch hier Stuttgart 21. Heiner Geißler musste die Rolle des Schlichters übernehmen, als ein geordneter Dialog der Interessengruppen untereinander nicht mehr möglich war.
9. Kommunikation ist nicht ergebnisoffen: Kommunikation mit Interessengruppen sollte im Idealfall nicht auf ein bestimmtes Ziel hin, sondern ergebnisoffen angelegt sein. Alle Akteure und Betroffenen werden direkt eingebunden, um gemeinsam nach der „richtigen, umsetzbaren Lösung“ zu suchen. Auch wenn eine solche (frühzeitige) Einbindung der Bürgerkompetenz in einen Gestaltungsprozess derzeit noch eher selten ist, wird dies in Zukunft immer entscheidender für den Erfolg eines Projekts. Hier sei nochmal auf das Zitat von Norbert Röttgen am Anfang des Beitrags hingewiesen. Bereits festgefügte Entscheidungen nur in der Öffentlichkeit zu verteidigen, um nachträgliche Akzeptanz zu erreichen, ist dagegen selten von Erfolg gekrönt.
10. Kommunikatoren verstecken sich hinter der rechtlichen Lage: Oft wird eine ergebnisoffene Diskussion damit abgeblockt, dass bereits ein rechtsgültiges Verfahren stattgefunden habe (siehe erneut Stuttgart 21). Man versteckt sich gerade bei infrastrukturellen Großprojekten gerne hinter dem Fachplanungsrecht, das nur ein begrenztes Beteiligungsverfahren vorschreibt (vierwöchige öffentliche Auslegung der Planungsunterlagen, fakultativer Erörterungstermin), statt die Interessengruppen mit einzubeziehen, solange noch eine realistische Chance der Einflussnahme besteht. Oft dient eine öffentliche Diskussion oder „Bürgerbeteiligung“ der Behörde oder dem Unternehmen nur noch als Feigenblatt, um bereits gefällte Entscheidungen zu rechtfertigen. Doch Akzeptanz kann nur gewonnen werden, wenn die betroffenen Menschen individueller, unmittelbarer und situativer an Entscheidungsprozessen beteiligt werden.
Aber: Auch gut gemeinte und rechtzeitig initiierte Informations- und Beteiligungsangebote an Interessengruppen müssen nicht automatisch zu einer höheren Akzeptanz und zum Erfolg des Projekts führen. Denn neben einem Dialog auf Augenhöhe gehört auch Kompromissbereitschaft auf allen Seiten zu den Voraussetzungen für die erfolgreiche Umsetzung von Infrastrukturprojekten. Doch die Wahrscheinlichkeit, bei Vermeidung der zehn beschriebenen Fehler im Dialog miteinander zumindest zu einem Kompromiss zu finden, sind durchaus hoch.
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Der Autor Frank Brodmerkel ist Inhaber der Agentur Grüne Welle Kommunikation in München, die sich unter anderem mit Community Relations, also der dialogorientierten Kommunikation mit lokalen Interessengruppen, sowie Nachhaltigkeitskommunikation befasst. Zudem wendet er sich mit seinem Beratungsangebot an Kunden aus den Bereichen Cleantech und Erneuerbare Energien.
E-Mail: kontakt@gruenewellepr.de