Khartum > Immer wieder hat Erdöl in der Geschichte zu Gewalt und Krieg geführt – im Sudan soll nun ausgerechnet das schwarze Gold für einen dauerhaften Frieden sorgen. Denn wenn sich der Südsudan in dem am Sonntag beginnenden Referendum wie allgemein erwartet vom Norden lossagen sollte, dann gilt, vereinfacht gesprochen, folgende Formel: Der Süden hat das Öl, der Norden hat die Pipeline. Beide Seiten sind daher aufeinander angewiesen, wenn sie von den enormen Ölreserven in der Region profitieren wollen. Genau darin sehen Beobachter eine große Chance für einen anhaltenden Frieden.
„Beide Seiten brauchen einander“, sagt Dana Wilkins von der britischen Nichtregierungsorganisation Global Witness. „Der Norden braucht das Öl, der Süden die Pipeline.“ Norwegens Vize-Außenminister Espen Barth Eide sagt, die Öl-Frage könne den Frieden im Sudan vorantreiben. Beide Seiten müssten aber akzeptieren, dass die jeweils andere Seite einen bedeutenden Anteil an den Öleinkünften erhalten werde. „Sie können nur gemeinsam Erfolg haben“, sagt Eide, dessen Land sowohl den Norden als auch den Süden über Möglichkeiten berät, die mit dem wertvollen Rohstoff erzielten Einnahmen zu teilen. „Das ist in gewisser Weise eine Botschaft des Friedens.“
Im Sudan liegen Schätzungen zufolge rund sechs Milliarden Barrel Öl. Drei Viertel davon liegen im Süden oder in der Grenzregion zwischen Norden und Süden. Für das Öl gibt es aber nur einen Weg aus dem Land: über eine Pipeline durch den Norden bis zur Hafenstadt Port Sudan am Roten Meer. Zwar gibt es auch Überlegungen, vom Süden aus eine Pipeline nach Kenia zu errichten; Analysten halten das aber für zu teuer. Zudem würde der Bau Jahre dauern.
Die Ölfelder waren schon während des Bürgerkrieges von 1983 bis 2005 ein bedeutender Faktor. Die Rebellen der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA) kämpften nicht nur für eine größere politische und religiöse Unabhängigkeit des überwiegend christlich geprägten Südens vom muslimisch geprägten Norden, sondern auch für eine größere Beteiligung an den Öleinnahmen. Die Regierung des autoritären Präsidenten Omar el Baschir in Khartum setzte auf arabische Nomadenmilizen, um sich den Zugriff auf die Ölfelder zu sichern. 2005 setzte ein „Umfassendes Friedensabkommen“ dem Bürgerkrieg ein Ende, in dem zwei Millionen Menschen starben. In dem Abkommen ist festgelegt, dass das Öl beiden Seiten zu gleichen Teilen zugutekommen soll.
Das Referendum, das am Sonntag beginnt und voraussichtlich eine Woche dauern wird, ist der Höhepunkt des Friedensprozesses, der 2005 in Gang gesetzt wurde. Rund fünf Millionen Südsudanesen waren aufgerufen, sich für das Referendum registrieren zu lassen, knapp vier Millionen von ihnen kamen dem nach. Sollte eine Mehrheit für eine Loslösung des Südens zustande kommen, soll das Votum nach Ablauf eines halben Jahres gültig werden – noch dieses Jahr könnte es also einen neuen Staat im internationalen Gefüge geben.
Derzeit verhandeln der Norden und der Süden darüber, wie genau eine Teilung der Öleinnahme aussehen könnte. So könnte der Norden Gebühren für die Nutzung der Pipeline erheben. Für beide Seiten geht es jedenfalls um sehr viel: Öl ist die wichtigste Quelle für Deviseneinnahmen des sudanesischen Staates, Khartum bereitet sich bereits auf sinkende Einnahmen vor. Der Süden erzielt seine Einnahmen zu 98 Prozent aus Ölgeschäften. Sollte es nach einer Abspaltung vom Norden zu einem neuen Konflikt kommen, käme insbesondere der Süden in Schwierigkeiten, warnt ein Beobachter: „Ohne Pipeline können die Südsudanesen nichts mit ihrem Öl anfangen. Außer vielleicht es zu trinken.“