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Globales Weltwirtschaftsethos: Chancen zu qualitativem Wachstum

Basel > “Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit sind Werte, ohne die nachhaltige und Wohlfahrt fördernde Wirtschaftsbeziehungen nicht gedeihen können”, heißt es in dem 2009 verabschiedeten Manifest “Globales Wirtschaftsethos”. Prof. Dr. Klaus M. Leisinger, CEO der Novartis Stiftung, gehörte zu der Arbeitsgruppe, die diesen Text verfasst hat. Gemeinsam mit Hans Küng und Josef Wieland hat Leisinger nun das Buch “Manifest Globales Wirtschaftsethos. Konsequenzen und Herausforderungen für die Weltwirtschaft” herausgegeben. Im Interview erläutert er die Botschaft des Manifests:

CSR NEWS: Herr Leisinger, wo sehen Sie heute die größten Herausforderungen der Globalisierung?

Klaus M. Leisinger: Das sind noch immer “Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung”, so wie es die Europäische Ökumenische Versammlung 1989 in Basel definierte. Obwohl sich vieles in den letzten zwei Jahrzehnten verbessert hat, gibt es noch immer Dutzende Kriege und Bürgerkriege, leben noch immer über zwei Milliarden Menschen in absoluter Armut, und als Folge sterben Millionen Kinder und hundertausende Mütter an vermeidbaren oder leicht heilbaren Krankheiten. Noch immer erhalten die reichsten 20 Prozent der Erdbewohner über 80 Prozent des Welteinkommens, während den ärmsten 20 Prozent weniger als 1.5 Prozent bleibt. Und noch immer verbrauchen 10 Prozent der Weltbevölkerung mehr an Rohstoffen und emittieren mehr an Abfällen, als mit einer nachhaltigen Entwicklung vereinbar ist.

Wie will das Manifest “Globales Weltwirtschaftsethos” diese Probleme lösen?

Das Manifest beruft sich auf Tugenden, die alle Menschen überall auf der Welt anerkennen können, weil sie in allen Kulturen und Religionen respektiert werden und zum gemeinsamen bewährten Wertevorrat der Erdengemeinschaft gehören. Dazu gehören Gewaltlosigkeit und Achtung vor dem Leben, Gerechtigkeit und Solidarität, Wahrhaftigkeit und Toleranz sowie gegenseitige Achtung und Partnerschaft. Die Unterzeichner des Manifests verpflichten sich, sich von Buchstaben und Geist dieser Erklärung in ihrem alltäglichen wirtschaftlichen Entscheiden, Handeln und Verhalten leiten zu lassen und sie so mit Leben zu erfüllen. Auf diese Weise wird ein humanes, solidarisches und nachhaltiges Miteinander im alltäglichen wirtschaftlichen Entscheiden, Handeln und Verhalten möglich. Solchermaßen gestaltetes “lokales Denken und Handeln” ist eine grundsätzliche Voraussetzung für globale Nachhaltigkeit.

Wie lautet die Botschaft des Manifests “in a nutshell”?

Mit dem Manifest wird die Weltethos-Erklärung des Parlaments der Weltreligionen von Chicago 1993 in die Welt der Wirtschaft übersetzt. Dabei werden Gesetze von Markt und Wettbewerb sowie die ökonomi¬schen Eigeninteressen der Menschen ernst genommen, aber zum Wohl aller auf eine gemeinsame ethische Grundlage gestellt. Sozial und ökologisch nachhaltiges wirtschaftliches Handeln auf globaler Ebene erfordern gemeinsame Vorstellungen von Recht, Gerechtigkeit und Fairness – mit anderen Worten: eine globale Ethik, die auf moralischen Prinzipien und Werten beruht, die seit alters her von allen Kulturen geteilt werden.

Weshalb engagieren Sie sich als Präsident der Novartis-Stiftung für nachhaltige Entwicklung für das Manifest?

Ich arbeite in einer Stiftung, die sich seit 35 Jahren mit den Themen nachhaltige Entwicklung, Unternehmensethik und unternehmerische Verantwortung beschäftigt. Unsere Stiftung wird von einem Unternehmen finanziert, das wirtschaftliche Spitzenleistungen mit universellen Wertvorstellungen in Einklang bringen will. Die Mitarbeit am Manifest war eine logische Folge meiner persönlichen Wertevorstellungen und meines beruflichen Umfelds.

Viele Zeitgenossen geben Weltkonzernen die Schuld an einem großen Teil der Globalisierungsprobleme und sehen sie nicht als einen Partner bei deren Lösung.

Diese Position unterstellt erstens grundsätzliche Unvereinbarkeiten, die ich nicht erkennen kann, und zweitens Mangel an intellektueller oder moralischer Integrität meinerseits oder seitens des Unternehmens. Ich frage mich immer wieder, aus welchen Quellen sich solche scheinmoralischen Unterstellungen nähren, wahrscheinlich aus Unkenntnis der Tatsache gegenüber, dass Dutzende Millionen Menschen ihr Leben der Erforschung, Entwicklung und Produktion innovativer Medikamente und Impfstoffe verdanken und hunderte Millionen Menschen trotz schlimmster Krankheiten ein relativ normales privates und berufliches Leben führen können. Das Erzielen von Gewinn ist die Voraussetzung für die wirtschaftliche Existenzsicherung, die Kontinuität erfolgreicher Forschung und schließlich der Sicherung von Arbeitsplätzen und des sozialen Engagements eines Unternehmens. Auch die bezahlten Kirchensteuern fallen nicht wie das biblische Manna vom Himmel.

Aber das kapitalistische Grundprinzip der Profitmaximierung läuft doch diametral entgegen den Forderungen im Manifest?

Es spielt überhaupt keine Rolle, wie hoch die Gewinne sind, wenn sie auf integere Art und Weise und somit im Geiste der oben erwähnten Wertehaltungen erzielt werden. Gewinne haben einen hohen sozialethischen Wert, sie ermöglichen Investitionen in die Zukunft, nachhaltige Beschäftigungssicherheit für qualifizierte Mitarbeiter, das Eingehen von Innovationsrisiken und das Zahlen von Dividenden an die Kapitalgeber.

Ihr Manifest proklamiert neue Werte und im Grunde genommen die Abkehr vom Glauben an das Wachstum. Wo liegt in der Weltethos-Wirtschaftsordnung der Anreiz für Aktionäre und Manager?

Zunächst: es sind gar keine “neuen” Werte, sondern uralte und bewährte ethische Bezugsrahmen. Zweitens hat das Manifest mit einer “Abkehr vom Glauben an das Wachstum” meines Erachtens überhaupt nichts zu tun – qualitatives Wachstum, auf Innovation beruhendes und ressourcensparendes Wachstum, vergrößert nicht nur den zur Verteilung verfügbaren “Kuchen”, sondern auch höhere Mittel für den Staat und den gesellschaftlichen Ausgleich. Aktionäre sind heute ganz überwiegend Lebensversicherungen und Pensionskassen und gute Manager wollen in Unternehmen arbeiten, mit denen sie eine Affinität im Wertespektrum erkennen.

Sie sagten am 11. Juni bei der Unterzeichnung des Manifests durch die Missionsgesellschaft „mission 21“ in Basel: “Guten Firmen ziehen gute Leute an.” Ist Novartis eine gute Firma?

Eindeutig ja, Novartis ist eine hervorragendes Unternehmen.

Heute steht “gut” in der Wirtschaft vor allem für Gewinnmaximierung. Für Sie ist “gut” jedoch ein moralischer Begriff. Gibt es da nicht ein Widerspruch?

Gewinnmaximierung ist ein überholter Begriff aus den 70er oder 80er Jahren. Heute spricht man von Gewinnoptimierung, und das ist nicht das Gegenteil von “gut”, auch nicht im moralischen Sinne. Wie gesagt kommt es auf die Art und Weise der Gewinnerzielung an, und hier zählt für uns die sogenannte “triple bottom line”, also das Abstellen auf die ökonomische, soziale und ökologische Qualität unternehmerischen Handelns.

Rund 100.000 Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen und Religionen arbeiten weltweit bei Novartis. Wie geht der Konzern mit dieser Vielfalt um?

Es gibt für sowohl für den Umgang der im Unternehmen arbeitenden Menschen miteinander als auch für prinzipielle Handlungsbereiche wie beispielsweise Umweltschutz, Arbeitsnormen oder der Respekt vor Menschenrechten allgemeine und weltweit verbindliche Regeln. Diese zeigen den Handlungs-Korridor auf, der keinesfalls verlassen werden darf. Darüberhinaus betrachtet das Unternehmen Novartis die kulturelle Vielfalt als Bereicherung und pflegt sie nach besten Kräften.

Das Manifest “Globales Weltethos” stellt universelle Prinzipien für Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit auf. Der Ansatz sei dabei “transkulturell”, sagen Sie. Aber sind es im Grunde nicht die ethischen Prinzipien der westlichen Welt, die allen anderen aufgezwungen werden? Konkret: Ihr Wirtschaftsethos ist der Untergang des traditionellen Kastensystems in Indien.

Es sind eben gerade nicht die Prinzipien der weißen Elite der ersten Welt, die hier angesprochen werden, sondern – wie gesagt – interkulturell und interreligiös bewährte Normen. Es ist ja auch nicht so, dass bei “uns” keine weitere Entwicklung mehr möglich wäre – man denke da nur an die Rolle der Frau in der katholischen Kirche. Nicht alles, was Bestandteil von Kulturen oder religiöser Dogmen ist, ist definitionsgemäss gut. Diskriminierung nach irgendwelchen menschengemachten Kriterien ist mit dem Manifest – aber auch mit dem Handlungskodex aufgeklärter Unternehmen in Indien – heute nicht mehr vereinbar. Unternehmen wie Tata haben hier schon vor Jahren bewundernswerte Pionierarbeit geleistet.

Was wollen Sie zusammen mit Hans Küng, Josef Wieland und den Mitinitiator des Manifests unternehmen, damit es nicht in Archivschubladen verschwindet?

Wir wollen eine Diskussion befördern, die sich mit dem Inhalt des Manifests auseinandersetzt. Wir wollen, dass Menschen in unserer Gesellschaft und darüber hinaus den Inhalt des Manifests auf die jeweils eigene Situation als Vorgesetzte, Mitarbeiter, Kapitalanleger oder Konsumenten reflektiert und damit weitere Diskussionen angeschoben werden. Schließlich wollen wir ein operationalisierbares Management-Werkzeug erarbeiten und in ein paar Unternehmen auf seine Brauchbarkeit testen.

Zuletzt: Rechnen Sie persönlich damit, dass wir in dem vor uns liegenden Jahrzehnt den Milliarden Menschen in den eingangs angesprochenen, durch Krieg, Armut, Hunger und Krankheit gekennzeichneten Lebenssituationen effektiv helfen werden – und nicht nur helfen könnten?

Ich sehe gar keine Alternative. Eine Minderzahl der Reichen auf einer Insel der Glückseligkeit wird in einem Ozean der Armut auf Dauer nicht in Frieden leben können. Von daher liegt es im wohlverstandenen Eigeninteresse, dass man dort, wo ein Minimum an guter Gouvernanz – im Sinne von Rechtssicherheit, demokratische-kompatiblen Strukturen, freien Medien und einer aktiven Zivilgesellschaft – anzutreffen ist, mit Beratung, Technologietransfer und – an letzter Stelle – Geld hilft, Problemlösungen zu beschleunigen und zu vertiefen. Dabei geht es nicht um humanitäre Hilfe – diese hat ihren Platz bei Notstandssituationen und zur direkten Verhinderung unnötiger Sterblichkeit, aber nicht zur Schaffung von Anreizen lokaler wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung – sondern um Impulse, Anschub- und Begleitaktionen für eine nachhaltige sozio-ökonomische Entwicklung. Dazu gibt es ein Riesenportfolio „richtiger“ Maßnahmen angefangen von Projekten zur CO2-Kompensation bis hin zum Abbau Agrarsubventionen, von Zöllen und nicht-tarifären Handelshindernissen bei uns.

Vielen Dank!

Das Buch von Hans Küng, Klaus M. Leisinger und Josef Wieland: Manifest Globales Wirtschaftsethos. Konsequenzen und Herausforderungen für die Weltwirtschaft. München 2010, ist im Deutschen Taschenbuchverlag (dtv) zum Preis von 9.90 Euro erschienen.

Foto: Klaus M. Leisinger bei der Vorstellung des Weltwirtschaftsethos in Basel im vergangenen November.


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