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Qualitätskriterien für einen nachhaltigen Tourismus und der Status Quo

Jedes Jahr reisen 75 Millionen Deutsche ins Ausland. Der Tourismus steht für 200 Millionen Arbeitsplätze weltweit und gilt als eine der am schnellsten expandierenden Branchen. Nützen oder schaden Touristen ihren Gastländern? Und was zeichnet einen verantwortungsvollen Tourismus aus?

Stuttgart > Allein die Deutschen unternehmen pro Jahr rund 75 Millionen Auslandsreisen – viele davon in den Sommermonaten. Weltweit gehört der Tourismus zu den am stärksten expandierenden Wirtschaftssektoren und schafft über 200 Mio. Arbeitsplätzen. Wie sieht ein nachhaltiger Tourismus aus? Welchen Beitrag kann er zur Entwicklung von Gesellschaft, Wirtschaft und Naturschutz leisten? Und welchen Einfluss besitzt Corporate Social Responsibility heute im touristischen Mainstream? CSR NEWS sprach darüber mit der Tourismusexpertin Angela Giraldo von der Stuttgarter Beratungsorganisation KATE – Kontaktstelle für Umwelt & Entwicklung.

CSR NEWS: Wo liegen die Kernherausforderungen für ein Touristikunternehmen, das sein Geschäft verantwortlich betreiben will?

Angela Giraldo: Die Kernherausforderungen für Touristikunternehmen kann ich in Form von acht Leitlinien für einen nachhaltigen Tourismus zusammenfassen. Diese Leitlinien haben wir im Rahmen der Entwicklung der CSR Berichtsstandards erstellt.

1. Umweltschonend reisen
2. Unterkünfte sorgfältig auswählen
3. Reiseziele abwägen
4. Lokale Gemeinschaften beteiligen
5. Angemessene Preise zahlen
6. Arbeitsstandards einhalten(ILO-Kernarbeitsnormen)
7. Partnerschaftlich wirtschaften
8. Transparenz schaffen

Innovationskraft und Flexibilität zählen zu den allseits bekannten Erfolgsfaktoren für Unternehmen in sich immer rascher wandelnden Märkten. Dazu gehört auch der verantwortungsvolle Umgang mit den natürlichen Ressourcen und mit dem gesellschaftlichen Umfeld. Angesichts der Problematik des Klimawandels und verschärfter gesellschaftlicher Probleme in vielen Ländern ist der Tourismus besonders anfällig für die Veränderung der Rahmenbedingungen.

CSR leistet einen Beitrag zum langfristigen Unternehmenserfolg. Sich als Unternehmen gegenüber der Gesellschaft verantwortlich zu verhalten, bringt Sicherheit für das Unternehmen. Immer mehr Unternehmen verstehen Umweltschutzmaßnahmen und die Berücksichtigung von sozialen Interessen als Teil ihres Risikomanagements. Vorreiter haben erkannt, wie durch CSR neue Produkte entwickelt und neue Märkte erschlossen werden können.

Wie stark ist CSR heute im touristischen Mainstream verankert? Oder sollte der CSR-bewusste Kunde Nischenanbieter wählen?

Im touristischen Angebots-Mainstream ist CSR noch nicht angekommen, eher bei Nischenanbietern. Es wird zwar in der Tourismusbranche oft von CSR gesprochen, es handelt sich aber in den meisten Fällen um einzelne Umweltaspekte und nicht um ein ganzheitliches CSR-Konzept. Vielleicht müssen wir zuerst über das Konzept als solches sprechen, damit wir überhaupt verstehen können, was gemeint ist: Nach unserem Verständnis steht CSR für eine neue Unternehmenskultur und meint soziale und ökologische Verantwortung im Kerngeschäft. CSR ein freiwilliger – aber nicht beliebiger! – Beitrag zu einer verantwortungsbewussten Unternehmensführung. Und wer CSR konsequent betreibt, verändert daher nicht nur seine Unternehmenskultur, sondern entwickelt auch ein neues Geschäftsmodell. Einzelne gute Taten reichen nicht aus, um CSR zu seiner vollen Wirkung zu bringen.

Betrachten wir die Nachfragetrends, sieht es ermutigend aus: Nimmt man die zuletzt veröffentlichte Studie der Gesellschaft für Konsumforschung – GFK (Travelscope), so expandiert das Marktsegment von umwelt- und sozialverträglichen Reisen kontinuierlich. Von den reiseaktiven Haushalten sind etwas über ein Drittel CSR-interessierte Haushalte. CSR interessierte Haushalte zeigen zudem die Bereitschaft, begrenzte Zusatzkosten für die Unterstützung ökologischer und sozialer Maßnahmen im Tourismus zu zahlen. Die in den letzten Jahren berühmt gewordene Zielgruppe der LOHAS (Lifestyle of health and sustainibility) wächst von Jahr zu Jahr. Für die LOHAS sind Umwelt, Klima, Gesundheit, Menschenrechte, Soziale Gerechtigkeit und Arbeitsbedingungen wichtige Kriterien bei ihren Kaufentscheidungen.

Es ist eine Sache der Zeit. Meiner Meinung nach, wird – gerade in dem sensiblen Tourismusbereich – in näherer Zukunft kein Reiseveranstalter drum herum kommen, transparent darzulegen, unter welchen Bedingungen die eigenen Reiseangebote entwickelt werden. Die Reisenden werden zunehmend danach fragen. Im Sinne einer gesellschaftlich verantwortlichen Unternehmensführung werden sie sich mit ganz unterschiedliche Fragen auseinandersetzen müssen: Wie viele Arbeitsplätze werden zu welchen Bedingungen geschaffen? Was leistet der Tourismus für die Verbesserung des Ausbildungs- und Beschäftigungsniveaus? Welcher Beitrag geht von ihm für die Förderung wirtschaftlich schwacher Regionen aus? Wie werden durch den Tourismus natürliche Ökosysteme erhalten statt geschädigt? Wie können wirtschaftliche Entwicklung und interkulturelles Verständnis in Tourismusländern gefördert werden? Trägt Tourismus zur Verminderung von Armut bei und respektiert er die Lebens- und Arbeitsrechte der Menschen in den Zielgebieten?

Gibt es das – ein CSR-Bewusstsein unter Tourismuskunden? Mittelstand, gebildet, über 40 Jahre und überwiegend weiblich: Trifft dies auf das Profil des CSR-bewussten Reisenden zu?

Hier muss ich mich nochmal auf die GFK Studie beziehen. Einer der Ergebnisse der Studie besagt, dass die CSR interessierten Haushalte demografisch charakterisierbar durch ihr höheres Durchschnittsalter sind, sowie ihre höhere Einkaufskraft. Reisende innerhalb der Zielgruppe sind gerne bereit, Zusatzkosten für zuverlässiges Engagement in diesen Aspekten von Urlaubsangeboten zu zahlen. Dieses Kundenbewusstsein kann im tatsächlichen Reiseverhalten erkannt werden (z.B. bei der Verkehrsmittelwahl) CSR interessierte Touristen neigen dazu, den klassischen Massentourismus zu vermeiden. Sie ziehen individuelle Urlaubstypen vor (Kulturreisen, Nutzung von Mietwagen, Einzelplatzbuchung …).

Scheiden Flugreisen für den verantwortungsbewussten Tourismus aus?

Könnte man meinen. Da aber bei CSR nicht nur die Umweltfreundlichkeit bewertet wird, sondern beispielsweise auch das interkulturelle Verständnis, die lokale Wertschöpfung in den Destinationen, sollten keine Dogmas gelten. Eher die Empfehlung, Flugkurzstrecken (bis 700km) zu vermeiden und Langstrecken nur in Verbindung mit längeren Reisen(mindestens 14 Tage) vorzunehmen. Interessant ist dennoch, dass die CSR-interessierte Zielgruppe signifikant öfter den Bus oder die Bahn für die Urlaubsreise nutzt – auch wenn insgesamt immer noch sehr viel geflogen wird.

Bietet ein nachhaltiger Tourismus auch für abgelegene Destinationen wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten?

Tourismus kann ein Beitrag zur wirtschaftlichen und gesellschaftliche Entwicklung leisten. Dafür sind aber einige Voraussetzungen notwendig. Die Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen (UNWTO) hat im Jahr 2001 das „Global Code of Ethics“ verabschiedet. Der Globale Ethikkodex für den Tourismus bietet einen Referenzrahmen für die verantwortungsbewusste und nachhaltige Entwicklung des Welttourismus. Der Kodex beinhaltet neun Artikel, die die „Spielregeln“ für die Destinationen, Regierungen, Reiseveranstalter, Entwickler, Reisebüros, Arbeitnehmer und die Reisenden selbst umfassen. Der zehnte Artikel beinhaltet den Bereich Gewährleistung und Reklamationen; es ist das erste Mal, dass ein Kodex dieser Art einen Durchsetzungsmechanismus enthält. Dieser Mechanismus wird auf Schlichtung durch einen Weltausschuss für Tourismusethik basieren, der aus Vertretern aller Regionen der Welt sowie aller an der Tourismusentwicklung beteiligten Anspruchsgruppen besteht – Regierungen, Privatsektor, Arbeitnehmerorganisationen und Nichtregierungsorganisationen.

Im Folgenden einige der Paragraphen:

  • Der Beitrag des Tourismus zu gegenseitigem Verständnis und Respekt zwischen Völkern und Gesellschaften
  • Der Tourismus als möglicher Weg zu individueller und kollektiver Erfüllung
  • Der Tourismus als Faktor für eine nachhaltige Entwicklung
  • Der Tourismus als Nutzer des Kulturerbes der Menschheit und Beitrag zu dessen Pflege

Wenn die Tourismusentwicklung all diese Aspekte berücksichtigt, können natürlich wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten auch für abgelegene Destinationen entstehen. Solange aber nur die absolute Gewinnmaximierung im Vordergrund steht, sind die Entwicklungsmöglichkeiten im Hintergrund. Ein Unternehmen hat das Recht, gut zu verdienen, aber nicht auf Kosten von anderen. Und darum geht es, das Gleichgewicht zu schaffen und nicht zu sagen: “Dem nehme ich etwas weg, damit ich mehr habe.” Nein! Es sollte heißen: “Ich möchte gewinnen, aber die anderen sollen auch etwas davon haben.” Ist das zu romantisch gedacht? Erwarte ich zu viel von den Reiseveranstaltern und den Reisenden? Ich bin der Überzeugung, dass es nur Gewinner geben kann, wenn es keine Verlierer gibt. Ich glaube an Geschäfte auf einer partnerschaftlichen Ebene, indem alle Tourismusakteure untereinander fair sind.

Lassen sich auch Tourismus und Naturschutz verbinden? Und wie?

Tourismus kann ein Beitrag zum Schutz der Natur leisten. Dafür müssen aber die Rahmenbedingungen gesteckt werden. Für die Tourismusentwicklung muss klar sein: was darf sie, was darf sie nicht. Beispielsweise müssten die touristische Infrastruktur so angelegt sein und die touristischen Aktivitäten so geplant werden, dass das Naturerbe – d.h. die Ökosysteme und die Artenvielfalt – geschützt und gefährdete Wildtierarten erhalten werden. Alle Formen der touristischen Entwicklung, die zur Erhaltung seltener und wertvoller Ressourcen beitragen, vor allem von Wasser und Energie, und die so wenig Müll wie möglich produzieren, sollten Priorität erhalten und von den nationalen, regionalen und kommunalen Behörden gefördert werden. Dies um nur ein paar wenige Rahmenbedingungen zu nennen.

Es gibt einige interessante Beispiele dafür. Zum Beispiel in Naturschutzgebieten in Afrika. Projekte, die frühere “illegale Wildjäger” zu Natur- und Artenschützern gemacht haben. Hier sehen wir wieder, wie eng Naturschutz und Armut zusammenhängen. Naturschutz kann nicht innerhalb einer Käseglocke passieren. Man kann nur schützen, was man kennen und lieben lernt. Und das wiederum kann man nur im engen Kontakt erleben. Es gibt aber leider auch negative Entwicklungen: Naturschutzgebiete, die aufgrund der Tourismuslobby und Korruption für den Bau von Hotels frei gegeben wurden.

Was leistet KATE in diesem Themengebiet?

Aufgrund der Freiwilligkeit ist die soziale Unternehmensverantwortung sehr “weich” geworden. Deshalb haben wir von KATE im Verbund mit weiteren Partnern Standards für CSR-Berichte entwickelt. Mit ihnen können wir die Nachhaltigkeitsleistung eines touristischen Unternehmens messen und überprüfen. Bei unserem Berichtssystem geht es um Ganzheitlichkeit, alle Bestandteile der Wertschöpfungskette eines Reiseveranstalters inklusive der Unternehmenszentrale werden durchleuchtet. Wir haben verschiedene Kriterien in messbare Indikatoren übersetzt. Beispielsweise: Wie viele CO2-Emissionen verursacht eine Reise pro Tag und Gast? Wie viel Gramm Papier produziert ein Unternehmen pro Kunde? Welcher Teil des Reisepreises bleibt als lokale Wertschöpfung in der Urlaubsregion? In Nachhaltigkeitschecks für Leistungsträger wird auch gefragt, ob beispielsweise die Angestellten sozialversichert sind und die Hotels energieeffizient arbeiten. Für Reiseveranstalter wird ihre Nachhaltigkeitsleistung messbar und sichtbar, mit Stärken und Erfolgen in Sachen Nachhaltigkeit können sie ihr Profil mit glaubwürdigen Alleinstellungsmerkmalen besser positionieren, die identifizierten Schwachpunkte motivieren Verbesserungsanstrengungen. Die Transparenz ihrer Produkte ist eine qualitative Argumentationsgrundlage gegenüber den Kunden. Die Informationen werden zu einem Medium zur Sensibilisierung der Bevölkerung hier und in den Gastländern. Die Mitarbeitenden bekommen Motivationen zur kontinuierlichen Verbesserung. Wenn die Reiseunternehmen solch einen Prozess durchlaufen haben, können sie zertifiziert werden. Tourismusunternehmen mit diesem Siegel haben ihre Geschäftspraxis auf Nachhaltigkeit geprüft. Somit können Verbraucher sicher sein, dass das Unternehmen es wirklich ernst meint mit der Nachhaltigkeit. Sie haben durch mehr Transparenz eine bessere Entscheidungsgrundlage für ihre Reise. Sie können besser differenzieren zwischen Unternehmen, die Nachhaltigkeit glaubwürdig ‚leben‘ und denen, die nur darüber reden!

Der CSR-Zertifizierungsprozess ist extern. Dafür wurde “TourCert – die Zertifizierungsgesellschaft im Tourismus”, gegründet. Gesellschafter sind die gemeinnützigen Institutionen Evangelischer Entwicklungsdienst – Tourism Watch (Bonn) KATE-Kontaktstelle für Umwelt & Entwicklung (Stuttgart), Hochschule für nachhaltige Entwicklung (Eberswalde) und Naturfreunde International (Wien). Die Geschäftsstelle von TourCert (www.tourcert.org) hat ihren Sitz bei KATE-Stuttgart.

Herzlichen Dank für Ihre Informationen!

Weitere Informationen im Internet:
www.kate-stuttgart.org


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