Hamburg > Deutschland hat sich bei der Abstimmung über den Entwurf zur ISO 26000 enthalten. Diese Enthaltung entstand daraus, dass zwei Stakeholdergruppen geschlossen gegen die DIN-Norm votierten: die Industrie und die Gewerkschaften. Dabei haben sowohl die deutsche Enthaltung selbst als auch deren Zu-Stande-Kommen viele in der Fachwelt sowie auch Beteiligte an der internationalen Erarbeitung der Norm irritiert:
Der BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie) hatte zunächst seine Sitze in dem Normenausschuss, dem so genannten „Spiegelgremium“, anderen zur Verfügung gestellt: der BSCI (Business Social Compliance Initiative) und UPJ (Unternehmen: Partner der Jugend). Als sich dann abzeichnete, dass mit diesen Vertretern keine einheitliche Ablehnung der Norm zu erreichen war, wurden kritische Vertreter vom BDI zurückgezogen. Denn nur durch das geschlossene Nein war auf dem internationalen Parkett die deutsche Enthaltung zu erreichen.
Inhaltlich kritisiert der BDI, dass die Norm nicht für kleine und mittlere Unternehmen und Organisationen geeignet sei und gerade für diese einen zu hohen Aufwand verursache. Zudem wurde die Befürchtung geäußert, die DIN-Norm könne zu einer Welle von Zertifizierungen führen. Für den DGB (Deutschen Gewerkschaftsbund) auf der anderen Seite geht eine Norm nicht weit genug. Die Gewerkschaften streben eine höhere Regulierungsdichte und möglichst eine gesetzliche Verankerung von CSR-Normen an. Die Unternehmensberaterin Dr. Annette Kleinfeld (Hamburg), als Expertin Mitglied in der deutschen Delegation des Internationalen Normungsprojektes, hält dagegen: In Bezug auf Umsetzungshilfen zu der Norm seien gerade für kleine und mittlere Unternehmen und Organisationen deren Verbände gefragt. Und in der Norm selbst sei eindeutig geregelt, dass es sich um einen Leitfaden und nicht um eine Zertifizierungsgrundlage handele.
Mit der Qualität der Norm zeigt sich Kleinfeld sehr zufrieden: Der Text sei zwar sehr lang und an einigen Stellen hätten redaktionelle Überarbeitungen gut getan. Jedoch werde das Thema CSR sehr systematisch entwickelt. Und vor allem werde deutlich: CSR ist mehr als Good Corporate Citizenship, sie ist Verantwortungsübernahme im Kerngeschäft. Das werde vor allem durch die in der Norm angeführten sieben ethisch relevanten Prinzipien und die sieben Kernthemen gesellschaftlicher Verantwortung deutlich. Nachdem der Normentwurf international angenommen wurde, rechnet Kleinfeld mit der Inkraftsetzung der Norm im Dezember 2010. „Auf internationaler Ebene zeichnet sich jetzt auch die Zustimmung der Gewerkschaftsseite ab“, so Dr. Annette Kleinfeld im Gespräch mit CSR NEWS. Zwar seien Länder wie China und Indien wohl kaum ins gemeinsame Boot zu bekommen. Dort gebe es zu viele kleine und aufstrebende Unternehmen, die zu weit von den Ansprüchen der Norm entfernt seien. Große Überraschungen erwartet sie für die letzte Sitzung im Mai in Kopenhagen und bis zur finalen Abstimmung im Herbst jedoch nicht mehr.
Auch in Deutschland wird die CSR-Norm ihre Wirkung entfalten, ist sich Kleinfeld sicher. Das deutsche DIN-Institut müsse sich dann entscheiden, wie es die Norm begleiten will, etwa durch Broschüren und Seminare. Gefordert seien auch die Verbände, die sicher bald manche Rückfragen ihrer Mitglieder zu der Norm beantworten müssten. Auch bei den Unternehmen – alle Mal bei den kleinen und mittleren – rechnet Kleinfeld mit einem großen Interesse. Und schließlich stehen die deutschen Firmen in einem internationalen Wettbewerb und werden sich als Zulieferer dort nach ihrer Stellung zur Norm und deren Umsetzung fragen lassen müssen.
Spannend wird es werden, wenn die Norm ISO 26000 dann in der Zivilgesellschaft Fuß fasst. Denn sie richtet sich eben nicht nur an Wirtschaftsunternehmen, sondern genauso an Nichtregierungsorganisationen: etwa an Umweltverbände, Gewerkschaften und die Kirchen. Und auch hier sieht die Unternehmensberaterin einiges an Handlungsbedarf, wenn es um deren Anwendung auf die Organisationspraxis geht.
Foto: Dr. Annette Kleinfeld (Dr. Kleinfeld CEC GmbH & Co. KG)