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Schaden Lebensmittelstandards des Einzelhandels den Kleinbauern in der Dritten Welt?

Berlin > Durch den Anbau von Obst und Gemüse erhielten Schwellenländer die Chance, ihr landwirtschaftliches Einkommen deutlich zu steigern und ländliche Armut zu verringern – wenn nicht die zunehmende Konzentration im Einzelhandel und das Setzen individueller Qualitätsstandards die Machtverhältnisse entlang der Wertschöpfungskette zugunsten der Abnehmer verkehrt hätten. Höhere und harmonische staatliche Qualitätsstandards für Obst und Gemüse würden den Zugang von Kleinbauern zu den europäischen Märkten verbessern. Das sind Kernthesen einer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in der vergangenen Woche veröffentlichten Studie, zu der Greenpeace eine Gegenposition bezieht: Nicht die individuellen Qualitätsstandards, sondern der von den Einzelhandelsketten ausgelöste Preisdruck sei das Problem und eine Verbesserung der Situation von Kleinbauern in armen Ländern sei vor allem durch eine verstärkte Nachfrage nach Fair Trade- und Bio-Lebensmitteln erreichbar.

Die im DIW-Wochenbericht vom 20. Mai vorgestellte Studie „Qualitätsstandards für Obst und Gemüse: Treiber oder Hemmschuh ländlicher Entwicklung?“ berichtet interessante Details: Zwischen 1980 und 2004 ist die Produktion von Obst und Gemüse weltweit um 119 Prozent gestiegen. Über 60 Prozent dieser Produkte stammen heute aus Asien. Allein China konnte seine Produktion mehr als versiebenfachen und erreicht heute einen Marktanteil von 37 Prozent. Alle afrikanischen Staaten gemeinsam bringen es dagegen nur auf einen Marktanteil von 8,5 Prozent. Sie konnten ihre Produktion in dem genannten Zeitraum knapp verdoppeln. Die DIW-Studie wendet sich besonders der Situation der Kleinbauern zu: 87 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe mit einer Nutzfläche unter zwei Hektar befinden sich in Asien, 8 Prozent in Afrika. Die durchschnittliche Betriebsgröße auf beiden Kontinenten liegt bei 1,6 Hektar. Der Obst-und Gemüseanbau kann sich für diese Betriebe besonders lohnen, denn die Hektarproduktivität bei Obst und Gemüse übertrifft diejenige traditioneller Agrargüter und die meisten Arbeitsvorgänge lassen sich nur unzureichend mechanisieren. Welche Schwierigkeiten verhindern, dass Kleinbauern vom Obst- und Gemüseanbau profitieren? Zum einen sind das unzureichende Transportmöglichkeiten, der eingeschränkte Zugang zu Kapital, fehlende agrartechnische Kenntnisse und ein Mangel an spezifischen Produktionsfaktoren wie etwa hochwertigem Saatgut. Zum anderen sind dies aber auch die von den Einzelhändlern aufgestellten individuellen Qualitätsstandards.

Die großen Einzelhandelsketten der Industrieländer beziehen rund 25 Prozent ihres Obsts und Gemüses aus Entwicklungsländern – in der Regel über Exporteure. Mit seinen Qualitätsstandards reagiert der Einzelhandel auf die wachsende Kundensensibilität zu Themen wie der Pestizid- und Herbizidbelastung der Lebensmittel. Durch seine jeweils individuellen Qualitätsstandards schafft der Einzelhandel aber auch Alleinstellungsmerkmale und reduziert damit die Bedeutung des Preises als Wettbewerbsfaktor. Und er erhöht die Abhängigkeit seiner Zulieferer, die sich nun in ihrem Produktionsprozess auf die Standards eines Abnehmers spezialisieren müssen und damit ihre Produkte nicht mehr flexibel am Markt anbieten können. „Es lässt sich zeigen, dass der Einzelhändler einen extrem hohen Qualitätsstandard setzt, wenn die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Zulieferer und Einzelhändler relativ gering ist, also beide über gute Handelsalternativen verfügen. Dies führt zu Wohlfahrtsverlusten und belastet den Zulieferer überproportional“, heißt es in der Studie.

Harmonisierte und ausreichend hohe gesetzliche Standards könnten bilaterale Abhängigkeiten reduzieren, indem sie die Zahl potentieller Abnehmer und Zulieferer erhöhen. Dies reduziere das Ausbeutungsrisiko innerhalb der Wertschöpfungskette und steigere die Chancen der Kleinbauern auf eine Einbindung in die Produktionskette. Denn Kleinbauern sind auf Vorleistungen der Exporteure wie etwa die Bereitstellung von Saatgut und technischer Hilfe angewiesen. Und dazu werden Exporteure eher bereit sein, wenn sie nicht von ihren Abnehmern ausgebeutet werden, so die DIW-Studie.

Greenpeace hat durch seine Untersuchungen und Kampagnen wesentlich zu einer Sensibilisierung der Verbraucher in Bezug auf die Lebensmittelqualität und insbesondere die Pestizidbelastung beigetragen. Für den Leiter des Greenpeace-Projektes „Essen ohne Pestizide“, Manfred Krautter, liegt das Elend der Kleinbauern vor allem im Preisdruck der Lebensmittelketten begründet. Der deutsche Lebensmittelmarkt sei der billigste in Westeuropa, so Krautter in seiner Stellungnahme zu der DIW-Studie. Etwa 75 Prozent der Lebensmittel werden in Deutschland von sechs Handelsketten umgesetzt. Staatliche Lebensmittelstandards gebe es bereits in Hülle und Fülle, sie würden in der Praxis jedoch schlichtweg ignoriert. „Die wohl beste Möglichkeit, Sozialstandards, Arbeitsschutz, gerechte Einkommen als gute ökologische Standards sicher zu stellen, ist die Steigerung des Umsatzes von Bio- und Fair Trade-Produkten. Dabei sollten Produkte bevorzugt werden, die sowohl Bio- als auch Fair Trade-Labels tragen“, so Krautter. Eine Umstellung auf Bio-Landwirtschaft sei in den Ländern der Dritten Welt besonders sinnvoll, da deren Erträge höher seien als die einer konventionellen Landwirtschaft. Dem stimmt auch das DIW in seiner gestrigen Reaktion auf die Thesen Krautters zu. In der Praxis jedoch seien „Bio- und Fair Trade-Produkte nur eine Nische im Angebot von Lebensmitteln“, so das DIW.

Informationen zur DIW-Studie im Internet finden Sie hier.

Die Stellungnahme von Manfred Krautter im Internet:
www.manfredkrautter.de


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